Tiefer Schmerz
Sonne verträgt?
Arto Söderstedt hatte selbst keine richtig gute Antwort auf die Frage. ›Schönheit‹ war keine zufriedenstellende Antwort, wenn man eine so drastische Maßnahme ergriff, wie fünf Kinder für einen wichtigen Frühjahrsmonat und etwas länger aus der Schule zu nehmen. ›Frieden‹ klang auch nicht überzeugend, wenn zwei erwachsene Menschen sich von ihrer Arbeit im öffentlichen Dienst für Monate beurlauben ließen, besonders nicht, wenn man beim Finanzamt Steuererklärungen prüfte und diese gerade jetzt den Steuerkratzer überschwemmten. So verhielt es sich mit seiner Frau Anja.
Kein Wunder also, daß sich schlechtes Gewissen einstellte und gegen die ›Schönheit‹ ebenso aufbegehrte wie gegen den ›Frieden‹. Nur an seine eigene Situation reichte der Stachel des Gewissens nicht heran. Arto Söderstedt hatte nicht die geringste Spur von schlechtem Gewissen, weil er dem Polizeikorps vorübergehend den Rücken kehrte.
Die A-Gruppe – will sagen ›die Spezialeinheit beim Reichskriminalamt für Gewaltverbrechen von internationalem Charakter‹ – hatte zwar im vergangenen Jahr vollauf zu tun gehabt, doch die großen, alles andere in den Schatten stellenden Fälle hatten durch Abwesenheit geglänzt, nachdem der als ›die Sickla-Schlacht‹ bezeichnete Fall sein denkwürdiges Ende erreicht hatte. Man war einer großen Katastrophe von internationalem Ausmaß extrem nahe gewesen. Aber das war jetzt fast ein Jahr her, und die Zeit hat ja die Tendenz, alle Wunden zu heilen.
Als ein Geldregen auf ihn niederging wie Manna vom Himmel, reagierte Arto Söderstedt jedenfalls, ohne zu zögern.
Außerdem fühlte er sich ausgebrannt. Alle waren heutzutage ausgebrannt, und wenn er meinte, eine Ausnahme zu sein, dann nur, weil er bisher gar nicht wußte, was es heißt, ausgebrannt zu sein.
Jetzt war auf jeden Fall er an der Reihe. Im Zeichen von ›Schönheit‹ und ›Frieden‹ erlaubte er sich, sein Ausgebranntsein zu kurieren – unabhängig davon, ob es existierte oder nicht. Und von ›Schönheit‹ und ›Frieden‹ gab es in der Toskana eine ganze Menge, dessen war er sich bereits nach wenigen Tagen sicher.
Die Familie mietete eine Villa inmitten der Weinberge des Chianti. Wenn Villa auf Italienisch auch etwas ganz anderes bedeutete, so war es doch ein rustikales kleines Steinhaus an einem nach Pinien duftenden Abhang unweit des Dorfes Montefioralle in der Nähe der Stadt Greve. Unterhalb des Abhangs breiteten sich die Weinberge aus wie die Felder der Unendlichkeit, als wäre der Himmel geborsten und das Paradies in kleinen Stücken heruntergefallen, die sich zu einem überirdischen Flickenteppich zusammengesetzt hatten.
Arto Söderstedt genoß in vollen Zügen – zugleich fühlte er sich auf seltsame Weise unwürdig, als wäre Sankt Peter gerade in dem Moment eingenickt, in dem ein weißhäutiger Kriminalinspektor seinen mageren Leib schlangengleich durch das Tor des Paradieses wand. Ganz und gar unverdient. Er fand sich allabendlich auf der Terrasse sitzend wieder, mit einem Glas Vin Santo den Einbruch der Nacht erwartend, oder während ein richtig majestätischer Brunello di Montalcino die Geschmacksknospen umspülte. Zielbewußt unkritisch schluckte er den ganzen Toskana-Mythos, und es ging ihm ausgezeichnet dabei. Von seinem Besuch in Siena, dieser magischen Stadt, würde er niemals auch nur eine Minute vergessen. Trotz der Kinder, die im stilreinen Kanon im Herzen der Kathedrale ein Sirenengeheul anstimmten. Orgelpfeifen, war alles, was er dachte, während er die fünf Geschöpfe betrachtete, die der Größe nach aufgereiht standen und ein Sturmgeheul, Wutgeheul, Dromedargeheul ertönen ließen, bis ein Aufseher die ganze Bande einfach hinauswarf. Ohne eine Spur von schlechtem Gewissen leugnete Söderstedt die Vaterschaft. Der Aufseher beäugte mißtrauisch seine gleichermaßen weiße, nur eine Spur größere Gestalt. Im Hause Gottes in einer solchen Sache zu lügen … In völlig ungestörter Ruhe wandelte er daraufhin eine halbe Stunde lang durch den Dom und genoß Donatello, Michelangelo, Pinturicchio, Bernini und Pisano in tiefen Zügen. Als er herauskam, saßen die Kinder ganz friedlich auf der Treppe der Piazza del Duomo und schleckten italienisches Eis. Nicht einmal Anja, die ein noch größeres Schleckermaul war als die Kinder, wirkte sonderlich empört über die geleugnete Vaterschaft.
Er hatte sogar das Handy abgeschaltet.
Als er jetzt unter dem blau-weißen Sonnenschirm
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