Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)
die Feuerwehr angerufen, und als die kam, war die Wohnung voller Gas. Die beiden lagen tot auf dem Bett. Die Kaffeetassen standen neben ihnen.«
In Brunettis Schweigen hinein bemerkte Rizzardi: »Ein Glück, dass nicht das ganze Haus explodiert ist.«
»Ungewöhnlich, im Bett Kaffee zu trinken«, sagte Brunetti.
Rizzardi bedachte seinen Freund mit einem wachsamen Blick. »Sie hatte Alzheimer, und er hatte nicht das Geld, sie anderswo unterzubringen. Und der Sohn«, erklärte er, »hat drei Kinder und lebt in einer Zweizimmerwohnung in Mogliano.«
Brunetti schwieg.
»Der Sohn hat mir erzählt«, fuhr Rizzardi fort, »sein Vater habe gesagt, er könne nicht mehr für sie sorgen, jedenfalls nicht so, wie er es gern täte.«
»Gesagt?«
»Er hat einen Abschiedsbrief hinterlassen. Darin steht, er wolle nicht, dass die Leute denken, er leide an Gedächtnisschwund und habe vergessen, das Gas abzustellen.« Rizzardi wandte sich von den Toten ab und ging zur Tür. »Er bekam eine Pension von fünfhundertzwölf Euro, sie eine von fünfhundertacht.« Düster fügte er hinzu: »Ihre Miete betrug siebenhundertfünfzig.«
»Verstehe«, erklärte Brunetti nur.
Rizzardi öffnete die Tür, und sie traten in den Flur des Krankenhauses.
2
Sie gingen in einträchtigem Schweigen den Flur hinunter; Brunetti hing noch dem Schicksal seiner Mutter nach, während gleichzeitig Rizzardis Bemerkung über das Wunder des menschlichen Körpers in ihm widerhallte. Nun, Rizzardi musste es wissen, schließlich hatte er tagtäglich damit zu tun.
Er dachte an den Abschiedsbrief des alten Manns für seinen Sohn, erschütternde Sätze, die etwas aussprachen, das Brunetti so unerträglich schien, dass er es nicht zu benennen wagte. Es handelte sich um eine bewusste Entscheidung gegen das Leben, die der alte Mann für sich und seine Frau getroffen hatte. Davor hatte er beiden noch einen Kaffee gemacht. Brunetti verbannte mit großer Willensanstrengung den Gedanken an das Zimmer, in dem die alten Leute ihren Kaffee getrunken hatten, und an das unerbittliche Schicksal, das ihnen von dort nur noch den Weg in den Kühlraum gelassen hatte, wo er sie hatte liegen sehen.
Er wandte sich Rizzardi zu und fragte: »Meinst du, dieses Marlung-Syndrom – falls er deswegen in Behandlung war – kann mir bei seiner Identifizierung helfen?«
»Madelung«, korrigierte Rizzardi automatisch und erklärte: »Du könntest eine offizielle Anfrage an alle Kliniken mit Spezialabteilungen für Erbkrankheiten richten.« Er überlegte. »Vorausgesetzt, er ist deswegen mal im Krankenhaus gewesen.«
Brunetti dachte an den Mann auf dem Tisch zurück und fragte: »Aber wäre das denn möglich? Dass er deswegen nicht in Behandlung war? Mit so einem Hals?«
Rizzardi, der schon die Klinke zu seinem Büro in der Hand hatte, drehte sich zu Brunetti um und sagte: »Guido, überall laufen Leute mit solch auffallenden Krankheitssymptomen herum, dass jedem Arzt, der sie sieht, die Haare zu Berge stehen.«
»Und?«, fragte Brunetti.
»Und diese Leute sagen sich, das ist nichts weiter, das gibt sich wieder, nur nicht so genau hinsehen. Der Husten wird sich schon bessern, die Blutung aufhören, das Ding am Bein von allein verschwinden.«
»Und?«
»Und manchmal kommt es so, und manchmal nicht.«
»Und wenn nicht?«, fragte Brunetti.
»Dann landen sie bei mir«, sagte Rizzardi grimmig. Er schüttelte sich, als wollte er wie Brunetti gewisse Gedanken verscheuchen, und fügte hinzu: »Ich habe eine Kollegin in Padua, die sich mit Madelung auskennen dürfte: Die rufe ich an. Dorthin würde jemand aus dem Veneto vermutlich am ehesten gehen.«
Und wenn er nicht aus dem Veneto ist?, fragte sich Brunetti, sprach es aber nicht aus. Stattdessen dankte er dem Pathologen und fragte, ob Rizzardi auf einen Kaffee in die Bar mitkommen wolle.
»Nein, danke. Mein Tisch ist wie deiner voller Papiere und Berichte, und ich habe vor, den Rest des Vormittags mit Lesen und Schreiben zu vergeuden.«
Brunetti quittierte das mit einem Nicken und machte sich auf den Weg zum Haupteingang des Krankenhauses. Er war sein Leben lang gesund gewesen, aber das half ihm auch nichts gegen die Einflüsterungen seiner Phantasie; nur allzu oft entdeckte er die Symptome eingebildeter Krankheiten an sich. Paola war die Einzige, der er je davon erzählt hatte, wenngleich seine Mutter, als sie dazu noch imstande war, es gewusst oder zumindest geahnt hatte. Paola war sich über die Absurdität seiner Befürchtungen im
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