Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
biegen, als ihm Peter in wahnsinniger Angst auf den Kopf sprang. Krüger fuhr gegen einen Laternenpfahl und stürzte mit dem Rad um. Die Posttasche öffnete sich, und alle Briefe und Pakete fielen in den Rinnstein.
Peter war inzwischen weitergerast und sauste mit dem Wecker am Schwanz auf die Apotheke zu. Der Lehrling Könich stand auf einer Leiter und putzte mit einem Schwamm und einem Eimer Wasser das große Schild. Peter fegte die Stufen der Leiter hinauf, krallte sich schutzsuchend an Könichs Rücken und schlug ihm mit dem Wecker auf den Hintern. Der Lehrling verlor vor Schreck das Gleichgewicht, die Leiter kam ins Kippen, und Könich, Peter, der Wassereimer und die Leiter knallten aufs Pflaster.
Unglücklicherweise ging gerade das alte Fräulein Line vorbei. Sie wurde umgerissen und von oben bis unten nassgespritzt. Sie stieß einen markerschütternden Schrei aus und fiel in Ohnmacht. Das gab Peter den Rest. Wie aus der Pistole geschossen verschwand er in der offenen Eingangstür der Apotheke. Gleich darauf hörte ich ein verdächtiges Klirren und Krachen, als ob die ganze Einrichtung in Trümmer ginge. Magister Drops kam mit wehendem Kittel herausgestürzt und schrie gellend in einem fort:
»Das böse Vieh ruiniert mich!! Das böse Vieh ruiniert mich!«
Ich sah noch, wie er auf den Feuermelder zulief und die Scheibe einschlug. Dann rannte ich rasch die Treppen hinunter auf den Geißmarkt, um Peter in der Apotheke einzufangen, damit er nicht ganz Timpetill zerstörte.
Aber ich kam zu spät. Peter war schon wieder draußen. Er sauste gerade mit dem Kopf voran durch ein geöffnetes Fenster des Rathauses, mitten hinein in das Amtszimmer des Bürgermeisters.
Durch das Geschrei von Magister Drops kamen aus allen Häusern die Leute herbeigeeilt. Bald war der ganze Platz von einer aufgeregten Menge erfüllt. Sogar aus den Nebenstraßen kamen sie gelaufen. Alle drängten sich um den Magister, aber der war noch immer so verstört, dass er unentwegt jammerte:
»Das böse Vieh ruiniert mich!«
»Welches Vieh?«, schrien die Leute.
Briefträger Krüger hinkte, auf sein verbeultes Rad gestützt, herbei und schwang in der Faust die schmutzig gewordenen Briefe.
»Der verteufelte Kater!«, brüllte er.
Fräulein Line erwachte aus ihrer Ohnmacht und zeterte in den höchsten Tönen, dass man sie begossen habe.
Könich tastete besorgt seine Gliedmaßen ab. Es war ein schreckliches Durcheinander, und kein Mensch wusste, was eigentlich los war.
Plötzlich schrie jemand:
»Es brennt!«
Aus der Tür der Apotheke quollen dicke Rauchschwaden.
Zum Glück traf jetzt in rasendem Galopp die freiwillige Feuerwehr ein und löschte den Brand. Peter musste irgendwelche Chemikalien durcheinandergeworfen haben, die dann explodiert waren. Alle Leute waren entsetzlich aufgeregt und rannten wie die Verrückten sinnlos umher. Die Kinder waren begeistert. Endlich war doch einmal wieder etwas Richtiges los.
Nur von Willi war weit und breit nichts zu sehen. Er hatte sich wohlweislich verdrückt.
Auf der Freitreppe des Rathauses erschien plötzlich Bürgermeister Krog.
Sein Gesicht war puterrot, die Adern auf seiner Stirn waren angeschwollen, und sein weißer Bart flatterte wild im Wind. Unter dem rechten Arm hielt er Peter an sich gepresst, seine linke Hand fuchtelte mit dem Wecker. Peter sah etwas mitgenommen aus, aber sonst ganz zufrieden. Endlich war er den Quälgeist am Schwanz los. Bürgermeister Krogs Stimme hallte donnernd über den Platz. Alle Leute drehten sich erschrocken zu ihm um.
»Wem gehört der Kater!?«, schrie der Bürgermeister drohend.
Bäckermeister Bollner hob den Arm.
»Mir, Herr Bürgermeister!«, rief er.
»Bollner, haben Sie dem Kater den Wecker an den Schwanz gebunden?«, schrie der Bürgermeister.
»Ach was, Gott bewahre!!«,protestierte Herr Bollner entrüstet.
»Das sind sicher wieder die Kinder gewesen!«, kreischte Fräulein Line plötzlich wie eine Hexe dazwischen.
Auf dem Platz wurde es still. Die Kinder sahen sich ängstlich an.
Bürgermeister Krog warf Peter zornig die Treppe hinunter und den Wecker hinterher.
»Das verflixte Tier ist mir mitten ins Gesicht gesprungen!«, brüllte er so laut, dass man es auf dem ganzen Geißmarkt hören konnte.
»Und jetzt habe ich genug!«, brüllte er noch lauter. »Genug! Genug! Genug!«, wiederholte er noch einmal. »Mit den Kindern werden wir jetzt Schluss machen! Ein für alle Mal Schluss machen!«
»Hoch! Hurra! Jawohl, Schluss!«, riefen alle
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