Evermore Bd. 6 - Für immer und ewig
EINS
E ver – warte!«
Damen greift nach mir, packt mich an der Schulter und will mich aufhalten, mich zu sich zurückholen, doch ich gehe weiter, kann mir keine Verzögerung erlauben. Nicht, wenn wir so kurz davor sind, schon fast am Ziel.
Die Sorge perlt von ihm ab wie Regen von einer Windschutzscheibe, während er zu mir aufschließt und seine Finger mit meinen verflicht.
»Gehen wir lieber zurück. Hier kann es nicht sein. Hier sieht nichts auch nur ansatzweise ähnlich aus.« Er wendet sich von der befremdlichen Landschaft ab und sieht mich an.
»Du hast Recht.« Ich halte mich weiter am Rand, während ich hastig atme und mein Herz zu rasen beginnt. Kurz mustere ich meine Umgebung, ehe ich es wage, weiter vorzudringen. Ein kleiner Schritt nach dem anderen, bis meine Füße so tief in den schlammigen Boden einsinken, dass sie vollständig darin verschwinden. »Ich wusste es«, flüstere ich kaum hörbar, obwohl ich eigentlich gar nichts sagen muss, damit Damen mich versteht. Wir können genauso gut telepathisch kommunizieren. »Es ist genau wie in dem Traum. Es ist …«
Er sieht mich an. Wartet ab.
»Also, es ist genau, wie ich es mir vorgestellt habe.« Ich schaue in seine dunkelbraunen Augen und halte seinen
Blick fest, da er sehen soll, was ich sehe. »Das Ganze, alles ist irgendwie … es ist, als hätte sich alles meinetwegen verändert. «
Er stellt sich dicht neben mich und lässt mit gespreizten Fingern langsam seine Hand über meinen Rücken kreisen. Er will mich beruhigen, alles bestreiten, was ich soeben gesagt habe, doch er spart sich die Worte. Ganz egal, was er sagt, ganz egal, wie gut und stichhaltig ein Einwand von ihm auch sein mag – er weiß, dass es zwecklos ist. Weiß nur allzu gut, dass er mich nicht umstimmen kann.
Ich habe die alte Frau gehört. Und er auch. Ich habe gesehen, wie sie mit dem Finger auf mich gezeigt, wie sie mich vorwurfsvoll angestarrt hat – und ich habe ihr unheimliches Lied mit seinem rätselhaften Text und seiner gespenstischen Melodie vernommen.
Die nur für mich gedachte Warnung.
Und jetzt das.
Seufzend blicke ich darauf herab – auf Havens Grab sozusagen. Die Stelle, an der ich erst vor wenigen Wochen ein tiefes Loch ausgehoben habe, um ihre Sachen zu begraben – die Kleider, die sie trug, als ich ihre Seele ins Schattenland schickte, das Einzige, was noch von ihr übrig war. Eine Stelle, die mir heilig war, die aber jetzt verändert, verwandelt ist. Die einst fette Erde ist nun ein nasser Sumpf ohne jegliche Spur der Blumen, die ich manifestiert habe, ohne jegliches Anzeichen von Leben. Die Luft schimmert und glänzt nicht mehr, sondern gleicht mehr oder weniger der im dunklen Teil des Sommerlands, auf den ich zuvor gestoßen bin. So düster, so dräuend in Aussehen und Wirkung, dass Damen und ich die einzigen Lebewesen sind, die sich überhaupt dort in die Nähe wagen.
Die Vögel halten sich am Rand – am Grassaum, der allmählich
zusammenschrumpft, was mir Beweis genug dafür ist, dass sich all das hier meinetwegen verändert hat.
Wie Dünger, der auf eine kleine Fläche Unkraut gestreut wird, hat jede unsterbliche Seele, die ich ins Schattenland geschickt habe, das Sommerland befleckt und infiziert. Hat sein Gegenteil, sein Schattenselbst erschaffen – ein unwillkommenes Yin zum Yang des Sommerlands. Ein Ort, so finster, so trist und so abstoßend, dass Magie und Manifestieren nicht existieren können.
»Das gefällt mir nicht«, sagt Damen mit nervösem Unterton. Er blickt sich hektisch um und will eindeutig am liebsten verschwinden.
Und obwohl es mir auch nicht gefällt, obwohl auch ich am liebsten auf dem Fuße kehrtmachen und nie mehr zurückschauen möchte, ist es leider nicht so einfach.
Mein letzter Besuch liegt erst wenige Tage zurück, und obwohl ich weiß, dass ich getan habe, was ich tun musste, dass ich keine andere Wahl hatte, als meine einst beste Freundin Haven zu töten, kann ich es irgendwie nicht lassen, immer wieder hierherzukommen und um Vergebung zu bitten – Vergebung für meine Taten ebenso wie für ihre. Und dieser kurze Zeitraum genügte, um alles Helle zu vertreiben – es düster, matschig und kahl zu machen. Und das bedeutet, dass es meine Aufgabe ist, es daran zu hindern, sich immer weiter auszubreiten.
Noch schlimmer zu werden.
»Was genau hast du denn in dem Traum gesehen?«, fragt mich Damen mit ruhigerer Stimme und mustert mich aufmerksam.
Ich hole tief Luft und lasse die Hacken tiefer einsinken,
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