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Titan 3

Titan 3

Titel: Titan 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Pohl
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es oft. Er hatte sie auf Tischen in der Organbank liegen gesehen, und in ihren Augen hatte der Wahnsinn geflackert. Er hatte sich dann immer gesagt, daß ihr Wahnsinn sie dorthin gebracht hatte, aber jetzt kannte er die Wahrheit. Bald würde er einer von ihnen sein.
    Vielleicht würde er ersticken, bevor er das Krankenhaus erreichte, bevor sie ihm den Schlauch in die Kehle schieben, das Beatmungsgerät an seiner Brust befestigen und Nadeln in seine Venen stechen konnten. Das kam öfters vor, auch wenn man noch so aufpaßte.
    Aber er würde nicht wahnsinnig werden. Er war geistig zu gesund. Er hielt es vielleicht monatelang durch.
     
    Er hörte ein Krachen in den Büschen. Licht streifte seine Augen. Etwas bewegte sich, er hörte Kampfgeräusche; jemand grunzte, ein anderer schrie gellend auf. Dann kam ein schwacher Knall, und es wurde still bis auf den keuchenden Atem eines Menschen.
    »Harry!« rief Marna besorgt. »Harry? Alles in Ordnung?«
    Es wurde hell auf der Lichtung, als der Spürroboter aus dem Wald zurückkam. Pearce schlurfte mühsam in dem Lichtschein näher. Hinter ihm tauchten Christopher und Marna auf. Auf dem Boden in der Nähe lag ein verkrümmtes Wesen. Harry begriff zuerst nicht, was das sein konnte, dann verstand er – es war ein Zwerg, ein gnomenhafter Krüppel mit dünnen Beinen, einem Buckel und einem großen, klumpigen Kopf. Auf dem Schädel wuchs schwarzes Haar in dünnen Büscheln, die Augen starrten rötlich, haßerfüllt ins Leere.
    »Harry!« rief Marna wieder, diesmal mit einem bekümmerten Unterton.
    Er antwortete nicht. Er konnte es nicht. Einen kurzen Augenblick lang empfand er seine Hilflosigkeit beinahe als angenehm, dann schwemmte Selbstmitleid alle anderen Regungen fort.
    Marna hob die Pfeilpistole auf und schleuderte sie ins Gebüsch. »Was für eine schmutzige Waffe!«
    Harry begann sich zu fassen. Also waren sie nicht geflohen, sondern genau wie er dem Leichenfledderer gesagt hatte, versteckt auf der Lauer gelegen, um ihn zu retten, sobald sich eine Möglichkeit bot. Sie waren jedoch zu spät zurückgekommen.
    Die Lähmung ließ sich nicht aufheben. Es gab kein Gegenmittel. Vielleicht würden sie ihn töten. Wie konnte er ihnen verständlich machen, daß er sterben wollte?
    Er begann heftig mit den Augen zu rollen.
    Marna kam zu ihm und nahm seinen Kopf in ihren Schoß. Ihre Hand strich unruhig durch sein Haar.
    Vorsichtig zog Pearce den Pfeil aus seiner Brust und stieß ihn tief in die Erde. »Nur ruhig«, sagte er. »Sie dürfen nicht aufgeben. Eine wirklich dauerhafte Lähmung gibt es nicht. Wenn Sie sich Mühe geben, können Sie den kleinen Finger bewegen.« Er hielt Harrys Hand fest, tätschelte sie.
    Harry versuchte, den Finger zu bewegen, aber es war zwecklos. Was war mit dem alten Quacksalber los? Er mußte doch spüren, wie ihm zumute war. Warum tötete er ihn nicht, damit es überstanden war? Pearce sprach weiter, aber Harry hörte nicht hin. Warum mußte der Alte ihm Hoffnungen machen? Das verschlimmerte nur alles.
    »Eine Transfusion würde vielleicht helfen«, sagte Marna.
    »Ja«, meinte Pearce. »Bist du bereit dazu?«
    »Sie wissen, was ich bin?«
    »Natürlich. Christopher, durchsuch den Leichenfledderer. Er wird sicher Schläuche und Kanülen bei sich haben, für eine etwaige Notversorgung seiner Opfer.« Pearce wandte sich wieder an Marna. »Es wird zu einer teilweisen Vermischung kommen. Das Gift wird in deinen Körper gelangen.«
    »Mich kann man nicht einmal mit Strychnin umbringen«, sagte Marna bitter.
    Nach einer Weile konnte Harry die Vorbereitungen nicht mehr mitverfolgen. Die Welt um ihn herum verschwamm. Die Zeit zog langsam dahin wie ein Gletscher.
    Als das erste graue Morgenlicht zaghaft durch die Bäume sickerte, spürte Harry, wie sein kleiner Finger schmerzhaft zum Leben erwachte. Es war schlimmer als alles, was er je gefühlt hatte, hundertmal schlimmer als die Qual, die der Armreif verursacht. hatte. Die Schmerzen breiteten sich auf die anderen Finger aus, krochen die Beine und Arme entlang bis in seinen Rumpf. Harry wollte Pearce anflehen, die Lähmung wiederherzustellen, ihn der gnädigen Betäubung aller Nerven zu überlassen, aber als schließlich seine Kehle wieder funktionsfähig war, war der Schmerz fast vergangen.
    Als er sich aufsetzen konnte, schaute er sich nach Marna um. Sie saß an einen Baumstamm gelehnt reglos da; ihre Augen waren geschlossen. Sie sah noch blasser aus als sonst. »Marna!« Ihre Augen öffneten sich müde –

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