TITLE
ein herrlicher Augusttag. Man ließ den Wagen anspannen und machte eine Spazierfahrt nach dem Hyde Park. Ich kannte bis jetzt von London weiter nichts als Villiersstreet, Oxfordstreet, LeicesterSquare und den Strand. Diese aristokratische Promenade war daher der Beginn meiner Einführung in eine neue Welt. Diese Scharen von Reitern in dem reichen Kostüm, welches man zu jener Zeit trug, die eleganten Amazonen mit den wallenden Gewändern und Schleiern, dieser Glanz der vornehmen englischen Gesellschaft, alles setzte mich in Erstaunen. Ich hätte die Hälfte meiner Lebenszeit darum gegeben, wenn mir vergönnt gewesen wäre, einen jener Phaëtons zu führen, welche mit Blitzesschnelle an uns vorüberfuhren, oder auf einem der schönen Pferde zu sitzen, welche in der für die Reiter reservierten Allee auf- und abgaloppierten. Ganz gewiß hatte Mr. Hawarden, um mich von Ehrgeiz und Stolz zu heilen, ein Mittel in Anwendung gebracht, welches Gefahr lief, eine Wirkung hervorzubringen, die der von ihm erwarteten geradezu entgegengesetzt war. Wir kehrten durch den Greenpark zurück, den wir, um dem Kinde ein Vergnügen zu machen, zu Fuße durchwandelten, und gingen dann wieder nach Hause, um den Vesperimbiß einzunehmen. Ich fragte Mr. Hawarden, ob dies die Überraschung sei, von welcher er gesprochen. »Nein,« sagte er. »Allerdings scheint unser Ausflug Ihnen Vergnügen gemacht zu haben, ich habe Ihnen aber noch etwas Besseres zu bieten. Ich werde Ihnen den berühmten Garrick zeigen.« Ich wußte nicht im mindesten, wer Garrick wäre und suchte meine Unwissenheit auch durchaus nicht zu verbergen oder zu bemänteln, sondern bat um nähere Erklärung. »Garrick,« sagte Mr. Hawarden, »ist der größte Schauspieler, der jemals gelebt hat.« Ich machte große Augen. »Er spielt heute abend wahrscheinlich zum letztenmal, während dagegen eine junge Schauspielerin, der man eine große Zukunft verspricht, eine gewisse Mistreß Siddons, zum ersten Male auftritt. Sheridan, dessen Freund und Arzt ich gleichzeitig bin, hat mir Billetts zu einer Loge geschickt, und ich hatte die Absicht, Sie an diesem Genusse teilnehmen zu lassen.« – »Wie,« rief ich, »ich soll mit ins Theater gehen? Ich soll eine Komödie sehen?« – »Nein, eine Tragödie vielmehr, doch hoffe ich, daß Ihnen dieselbe ebenso sehr gefallen wird.« Ich stieß einen Freudenschrei aus und klatschte in die Hände wie ein Kind, welches ich in der Tat auch noch war. »Ach,« rief ich, »wie gut Sie sind, Mr. Hawarden. Wie, ich soll ein Trauerspiel sehen! Dann wird es Könige und Königinnen auf der Bühne geben, nicht wahr? Und wie heißt das Trauerspiel, welches wir sehen werden?« – »Es heißt ›Romeo und Julia‹, mein Kind, und ist eins der vierMeisterwerke Shakespeares.« – »Und das soll ich sehen!« rief ich vor Freude hüpfend. »Mein Gott, wie glücklich ich doch bin!« – »Na,« sagte Mr. Hawarden, »es macht wirklich Vergnügen, Ihnen Vergnügen zu machen.«
Ich war in der Tat vor Freude geradezu außer mir. Oft hatte ich wohl schon vom Theater sprechen gehört, aber ich hatte keinen Begriff davon, was es eigentlich wäre. Einige von Mistreß Colmans Schülerinnen, welche in Chester im Theater gewesen und dort herumziehende Schauspielertruppen gesehen, waren ganz entzückt wieder nach Hause gekommen. Wie mußte es erst in London sein. »Wann geht es denn an?« fragte ich Mr. Hawarden. – »Schlag halb acht Uhr.« – »Und wann ist es aus?« – »Ziemlich um elf Uhr.« – »Dann dauert es also drei und eine halbe Stunde?« – »Ja, aber von diesen vierthalb Stunden,« sagte Mr. Hawarden lachend, »müssen die Zwischenakte in Abrechnung gebracht werden.« – »Aber nicht wahr, wir werden gleich zum Anfange dort sein?« – »Jawohl; wenn der Vorhang aufgeht, sind wir bereits in unserer Loge.« – »Ach mein Gott; jetzt ist es erst fünf Uhr!«
»Weniger fünf Minuten, aber die Zeit wird vergehen. Es gibt ja bis dahin noch eine Menge zu tun. Erstens haben wir den Tee zu trinken. Soeben bringt man denselben und ich ersuche Sie, ein wenig von diesem Pudding zu genießen, denn wir werden heute abend sehr spät soupieren. Ferner haben Sie Ihre Toilette zu machen.« – »Meine Toilette! Ich, Mr. Harvarden! Sie wissen doch, daß ich nur ein einziges Kleid habe, nämlich das, welches Mistreß Hawarden die Güte gehabt hat, mir zu geben. Ich müßte denn das berühmte blaue Kleid wieder anziehen, was ich aber, offen gestanden, nicht gern möchte.«
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