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Tochter der Nacht

Tochter der Nacht

Titel: Tochter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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sie hatten dunkle Haare und dunkle Augen, scharfgeschnittene Züge und eine hohe Stirn. Tamino war auf seiner langen Reise keiner Frau begegnet und betrachtete sie aufmerksam. Eine war wie eine Kriegerin gekleidet – in Waffenrock und Brustpanzer aus schwarzem Leder und hohen Stiefeln an den wohlgeformten Beinen. Die beiden anderen trugen fahle Gewänder und eine Art Kopfschmuck mit einem Halbmond. Tamino hatte die unbestimmte Ahnung, ihnen schon einmal begegnet zu sein; doch mit Bewußtsein hatte er solche Frauen noch nie gesehen. Sie glichen ganz und gar nicht den zarten, blonden, hellhäutigen Frauen seiner Heimat, die weiche, seidene Ge-wänder trugen und nicht im Traum daran gedacht hätten, eine Waffe in die Hand zu nehmen.
    Tamino wollte ihnen entgegengehen und sie ansprechen, doch ihre ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf Papageno.
    »Papageno«, sagte die eine sanft, aber drohend, »heute bringe ich dir von der Königin anstelle von Weißbrot und Früchten einen Korb voll Spreu und leerer Hülsen.« Sie hob den Korb hoch und schüttete ihn fröhlich lachend über seinem Kopf aus. Tamino sah es verwirrt; die junge Frau wirkte viel zu freundlich und liebenswürdig für solche derben Späße.
    Papageno wischte sich unbehaglich die Spreu von Kopf und Gewand.
    »Herrin Zeshi, was habe ich getan? Seht meine schönen Vö-
    gel… sie haben wunderbare Farben, und es fehlt keine einzige Schwanzfeder«, stammelte er.
    »Und ich bringe dir von Ihrer Königlichen Hoheit keinen perlenden Wein, sondern einen Krug trübes Wasser aus dem Schweinetrog.« Dies sagte die Kriegerin mit dem Schwert, und während sie sprach, schüttete sie Papageno das Wasser über den Kopf. Triefend vor Nässe schüttelte er die fedrigen Haare und murmelte jämmerlich: »Herrin Kamala, ich bitte Euch…«
    Entsetzt brachte sich Tamino außer Reichweite. Die Dritte, die Größte und Eindrucksvollste, sagte streng: »Und für deinen Mund, der einen arglosen Reisenden prahlerisch belügt, bringe ich dir ein Schloß, damit du deine lose Zunge in Zukunft im Zaum hältst.«
    »O Herrin Disa…«, jammerte Papageno, doch die beiden kleineren Frauen ergriffen ihn und legten ihm schnell eine Art Maulkorb um.
    Papageno schüttelte den Kopf und versuchte, etwas zu sagen, brachte jedoch immer nur »Umm, ummm, ummm« hervor. Tamino sah es bekümmert und betrübt. Die drei Frauen lachten und trieben mit dem Halbling ihr Spiel. Er begriff, daß sie nicht eigentlich grausam sein wollten, aber warum behandelten sie dann den armen Burschen so hart?
    Papageno kauerte am Boden, und sie ließen endlich von ihm ab. Die größte der Frauen näherte sich Tamino.
    »Prinz aus dem Reich im Westen«, redete sie ihn an, und Tamino fragte sich, woher sie ihn kannte, »das Glück ist Euch hold. Unsere große Königin kennt Euren Namen und den Grund Eurer Reise. Sie bittet Euch als ihren geehrten Gast zu sich in den Palast.«
    Tamino zögerte nur kurz. Man hatte ihm befohlen, den Tempel der Weisheit zu suchen und dort darum zu bitten, die Prüfungen ablegen zu dürfen. Aber man hatte ihm nicht verboten, sich auf Abenteuer einzulassen, die ihm unterwegs begegneten. Die Königin besaß offensichtlich in diesem Land große Bedeutung, und sie konnte ihm vermutlich den richtigen Weg weisen. Er mußte sich den Gefahren und Schwierigkeiten auf der Reise stellen, warum sollte er also nicht auch einer solchen freundlichen Einladung folgen?
    »Mit dem größten Vergnügen«, erwiderte er.
    »Papageno, du kommst mit«, sagte die Kriegerin, »du sollst dem Prinzen dienen. Du hast zu lange unter den Vögeln gelebt, wenn du glaubst, das hätte dich in die Lage versetzt, Drachen zu töten.« Sie schob Papageno halb freundlich, halb streng vor sich her. Der Vogel-Mann konnte nicht antworten, verzog nur hilflos das Gesicht und brummte etwas. Tamino folgte ihnen, und als sie die Lichtung verließen, erblickte er in der Ferne dunkle Türme, die sich über eine hohe, große Mauer erhoben.
    »Dort liegt der Palast der Sternenkönigin, der Herrin der Nacht«, erklärte Kamala, die Kriegerin.
    »Und bei Einbruch der Dunkelheit wird die Königin der Nacht Euch als ihren Gast willkommen heißen.«
     
    Fünftes Kapitel
    Die mächtige Mauer umgab eine Stadt; eine Stadt mit breiten Straßen und Plätzen. Überall herrschte ein buntes Treiben von Männern und Frauen, männlichen und weiblichen Halblingen. Tamino sah sie auch in den engen Gassen und vor den Häusern, und dabei fielen ihm bei den

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