Tochter der Nacht
Früchten und Honig zu nehmen, die auf einer großen Platte vor ihnen standen.
Ängstlich fragte sie: »Ihr werdet doch nicht zulassen, daß dem armen Papageno ein Leid geschieht, nicht wahr? Und dem Prinzen auch nicht?« Schnell fügte sie hinzu: »Ich meine Prinz Tamino, nicht Monostatos«, nahm eine gedörrte Feige und kaute darauf herum, obwohl die Frucht in ihrem trockenen Mund wie Holz schmeckte.
»Ich weiß nicht, was man dir über mich erzählt hat«, sagte Sarastro, und seine Stimme klang freundlich. »Aber ich gebe dir mein Wort, ich habe nicht die Absicht, Papageno ein Leid zuzufügen und Tamino noch weniger. Der Prinz soll mein Ehrengast sein, weil er sich den Prüfungen zu unterziehen hat.«
»Ich war auch Euer Ehrengast«, erwiderte Pamina etwas bitter, »und mußte feststellen, daß ich Eure Gefangene bin.«
»Pamina…« Sarastro seufzte und stützte das Kinn in die Hand. Dann sagte er: »Über die Meinungsverschiedenhei-ten, die ich mit deiner Mutter habe, will ich nicht sprechen; ich hatte gehofft, du würdest nie davon erfahren. Aber ich glaube, das wäre zuviel verlangt.«
»Darf ich Euch eine Frage stellen?« sagte Pamina, und der Priester nickte.
»Hier darfst du alles fragen, und ich verspreche dir, jede Antwort, die du bekommst, ist die Wahrheit.«
»Monostatos hat mir gesagt, Ihr seid mein Vater. Ist das wahr?«
»Ich fürchte ja, Pamina«, erwiderte Sarastro. »Aber ist dir das so unangenehm?«
Er sah sie freundlich an und schien ihr zuzuzwinkern. Es war bestimmt nichts Unerträgliches daran, diesen gelassenen und freundlichen Mann als ihren Vater anzuerkennen. Aber vielleicht war dann auch alles andere wahr, was Monostatos behauptet hatte. »Habt Ihr Monostatos meine Hand versprochen?« wollte sie wissen.
Sarastros Gesicht verriet eine gewisse Überraschung.
»Nein«, erwiderte er, »möchtest du ihn zum Gemahl? Es ist wahr, ich habe ihm gesagt, wenn er alle Prüfungen erfolg-reich besteht, wenn du einverstanden bist, würde ich Monostatos vielleicht erlauben, um deine Hand anzuhalten.
Mehr nicht. Hat er dir das gesagt, Pamina?«
»Weshalb glaubt Ihr, habe ich versucht zu fliehen?« entgegnete sie.
»Ich hoffte, du würdest darüber sprechen.« Sarastro ließ sie nicht aus den Augen. Er betrachtete Pamina prüfend und wachsam. »Ich habe angeordnet, daß man dich zuvorkom-mend behandelt und dir alle Wünsche erfüllt. Hat jemand diesen Befehlen zuwidergehandelt?«
War es also möglich, daß Sarastro die Wahrheit nicht kannte?
Als Pamina antwortete, zitterte ihre Stimme: »Ich versuchte… ich versuchte zu fliehen, weil ich mich vor ihm fürchtete. Vor Monostatos. Er hat mich bedroht. Er sagte, ich sei ihm versprochen, und ich fürchtete… ich fürchtete, es sei die Wahrheit. Er… sagte es mit solcher Überzeugung und behandelte mich, als ob…« Sie schwieg und suchte nach Worten, »… als sei ich bereits seine künftige Gemahlin.«
Sarastro sah ihr in die Augen. Pamina senkte den Kopf aus Furcht, sie würde weinen, und kämpfte gegen die Tränen, die ihr in die Augen traten. Dann spürte sie Sarastros Hand, der ihr sanft den Kopf hob, bis ihre Blicke sich trafen.
»Pamina, ist das wahr?«
»Ich kenne die Sitten hier nicht, aber ich würde mich nie soweit erniedrigen, deshalb zu lügen!« entgegnete Pamina plötzlich zornig.
Sarastro seufzte. »Es stimmt. Du kennst diesen Ort hier nicht. Und du kennst auch mich nicht. Es ist nicht deine Schuld. Ich frage dich noch einmal, Pamina. Wirst du deinen Vorwurf in Gegenwart von Monostatos wiederholen, wenn ich dich darum bitte?«
»Mit dem größten Vergnügen«, erklärte sie mit Nachdruck.
»Und wenn mir dieser elende Halbling in die Augen sehen und es leugnen kann…« Pamina schwieg; sie zitterte am ganzen Leib vor Empörung, und Sarastro griff nach ihrer Hand.
»An deinen Augen sehe ich, daß du die Wahrheit sprichst, mein Kind. Ich kann nur sagen, daß ich sehr bedaure, daß du diese Prüfung hast erdulden müssen. Ich habe mich in Monostatos geirrt. Ich glaubte, als Sohn der Großen Schlange, die einmal mein Freund und ein geschworener Tempelbruder war, würde er sich ehrenhaft verhalten. Jeder kann sich irren. Ich bedaure nur… nun ja, das ist jetzt nicht wichtig.«
Sarastro seufzte tief, ehe er weitersprach: »Ich werde dem Prinzen Tamino dasselbe wie Monostatos versprechen.
Wenn er die Prüfungen besteht, darf er um dich werben. Und wenn ich die Zeichen richtig deute, wirst du es ihm weniger verübeln als
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