Einfach? Leben - humorvolle Kurzgeschichten (German Edition)
Cliffhänger
Hans baumelte an einer Klippe über den reißenden Wellen Kroatiens. Seine Hände klammerten sich an einer dicken Wurzel fest, die ein Stück zwischen den Felsen herausragte. Er wagte nicht, nach unten zuschauen und jeder Versuch, wieder nach oben zu klettern, war bisher vergeblich gewesen. Wie es zu einer so misslichen Lage kommen konnte? Nun, alles hatte vor drei Tagen angefangen, als er von der Arbeit nach Hause gekommen war ...
***
Ein großer Sonnenhut auf dem Kopf, zwei Reisetaschen neben den Beinen bereitgestellt und eine dunkle Sonnenbrille auf der Nase: So ausgestattet lächelte Hans‘ Frau Gerda ihn vor der Haustür an.
»Schatz, es ist großartig!«, sagte sie. »Wir machen Urlaub mit der ganzen Familie! In ein paar Stunden geht‘s los!«
Nachdem er die Worte vollends begriffen hatte, weiteten sich Hans Augen langsam und Panik breitete sich in seinem Körper aus. Familieurlaub! Mehrere Tage sollte er mit seinen Verwandten in den Urlaub fahren, sie täglich ertragen müssen und dabei vermutlich noch von Wasser umgeben sein? Ohne jede Fluchtmöglichkeit?!
»Das ist leider nicht möglich, Honigschnäuzchen«, sagte Hans mit einem gequälten Lächeln. »Ich muss doch arbeiten! Ich kann da nicht einfach von heute auf morgen-«
»Das hab ich schon geregelt«, sagte sie und fischte ein Handy aus der Tasche ihres leichten Sommerkleidchens. Sie drückte auf dem Ding herum und zeigte Hans dann eine SMS.
Er blinzelte mehrmals und las die Nachricht mit stillem Entsetzen:
Machen Sie, was immer Sie wollen, Ebermann! Halten Sie mir bloß dieses Weibsbild vom Leib!
»Dein Chef ist eine harte Nuss, aber ich hab ihm schon deutlich gemacht, dass du den Urlaub mehr als verdient hast«, sagte Gerda. Ihr strahlendes Äußeres schien für einen Moment von einer tiefen Dunkelheit getrübt zu werden; so gnadenlos waren ihre Augen und Hans zuckte zusammen.
Seine Frau konnte zu einem Biest werden, wenn sie etwas wollte ... Herr Fulda tat ihm fast leid. »Aber Gerda, das wäre wirklich unverantwortlich und -«
Gerda stemmte die Hände in die Hüften und funkelte ihn an. Hans verstummte augenblicklich.
»Du wirst mitkommen, Hans! Du kommst mit und wirst dich verdammt gut amüsieren. Verstanden?!«
Er hatte verstanden.
***
Etwa zwölf Stunden später saß Hans im Flugzeug und vergrub die Finger in den Armlehnen seines unbequemen Sitzes. Regungslos starrte er auf die Rückenlehne des Platzes vor ihm, während zwei Schaumstoffschläger ihm immer und immer wieder auf den Kopf schlugen. Sie gehörten zu Philipp und Luise, die beiden Kinder von Gerdas Schwester. Beide standen auf den Sitzen rechts und links neben Hans und kicherten unentwegt.
Wirklich erstaunliche Geschöpfe, diese Zwei. Sie verwunderten Hans jedes Mal aufs Neue. Erst einen halben Meter groß und schon schafften sie es innerhalb von Minuten, ihm den letzten Nerv zu rauben. Hans‘ Blick fiel auf seine Schwägerin und dessen Lebensgefährten. Beide lachten offenbar lieber über dumme Witze, als ihre Kinder zu erziehen. Sie ignorierten jegliche Schandtaten der beiden vollkommen. Und Hans konnte es ihnen nicht einmal verübeln. Wer wollte sich schon mit solchen Teufeln auseinandersetzen?
»Seid ihr bald mal fertig?«, fragte er. Seine Stimme war betont ruhig, doch er fühlte, wie eine seiner Augenbrauen gefährlich zuckte.
»Nee«, sagte Philipp zu seiner Rechten und Luise kicherte. Beide schlugen weiterhin auf ihn ein. Hans würde sie anschnauzen, doch Kindertränen hatten eine erstaunliche Wirkung auf den Rest der Fluggäste und er wollte nicht wieder als Kinderschreck dastehen. Das Geflüster und die strafenden Blicke der Mütter waren das erste Mal schon schlimm genug gewesen. Auch zeigte die Schimpferei überraschend wenig Wirkung. Die Kinder waren nur zu ihren Eltern gelaufen, hatten sich umarmen lassen und Hans mit tränenüberströmten Gesichtern angegrinst. Verdammte Quälgeister!
»Nun ist es aber mal gut«, sagte eine Stimme auf einmal und Hans drehte den Kopf. Sein Schwager Bernd hob Luise hoch – sie kreischte fröhlich – und platzierte sie auf seinen Schoß, als er sich neben Hans setzte. »Luise, Philipp, es ist nicht gut, wenn ihr den Hans so ärgert«, sagte Bernd mit einem Augenzwinkern. Ein Lachen war in seiner Stimme zu hören und er nahm Luises Schläger, um ihr damit selbst leicht auf den Kopf zu tippen. Luise zog aus Rache an Bernds braunen Locken und beide lachten.
Hans‘ Augen verengten
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