Tochter der Nacht
erkaltete. Tamino nahm die Hände von ihren Schultern, trat einen Schritt zurück und griff rasch zum Schwert. Mit einem kurzen Wink bedeutete er Pamina, hinter ihm Schutz zu suchen.
Pamina fuhr herum, und ihr stockte der Atem. Vor ihnen stand Monostatos, das Gesicht zu einer Maske unversöhnlichen Hasses verzerrt.
»Glaubst du, ich fürchte mich vor deinem Schwert?« höhnte er. »Ein Schritt weiter«, erwiderte Tamino, »und du wirst wissen, ob du Grund hast, es zu fürchten oder nicht.«
Monostatos lächelte spöttisch. »Ich bin der Sohn des Großen Drachen«, rief er, »glaubst du, mir stehen keine Zauberkräfte zur Verfügung, nur weil Sarastro mich verstoßen hat? Jetzt bist du in meinem Reich, Prinz aus dem Westen. Und ich sage dir: Geh! Weiche von hier!«
Monostatos bewegte nicht einmal einen Finger. Er bewegte sich überhaupt nicht. Ein Donnerschlag rollte über den blauen Himmel. Pamina spürte, wie Dunkelheit sie überfiel, und Tamino war verschwunden.
Zwanzigstes Kapitel
Dunkelheit. Tamino verschwunden! Pamina kämpfte gegen einen unsichtbaren Feind. Monostatos? Nein! Monostatos war ein Mensch, zumindest ein Halbling. Diese Kreatur, gegen die sie kämpfte, war in keiner Hinsicht menschlich. Sie umhüllte Pamina mit erstickenden ledrigen Flügeln. Krallen fuhren ihr über das Gesicht, und ein ekelerregender Atem schlug ihr entgegen – ein schrecklicher Gestank nach Verwe-sung und Fäulnis.
Blindlings griff Pamina nach dem Dolch, den ihr die Priester gegeben hatten. Sie mußten gewußt haben, was sie bei dieser Prüfung erwartete. Pamina erinnerte sich, als sie ihren Vater fragte, ob Monostatos eine ihrer Prüfungen sei, doch Sarastro hatte es verneint; aber Monostatos hatte sie in diese Dunkelheit geworfen! Und Pamina stieß mit dem Dolch zu, als wehre sie sich gegen ihn.
Woher wußte sie, daß es nicht Monostatos war? Woher wusste sie, daß er nicht ebenfalls die Macht besaß, sich in eine schauerliche, furchterregende Gestalt zu verwandeln? Pamina traf etwas, das ihr wie Leder erschien. Ein gellender Schrei zertönte die Luft. Wenn sie dieses Wesen nur sehen könnte…
doch die ledrigen Flügel umschlossen sie so eng, daß Pamina nichts gesehen hätte, selbst wenn es hell gewesen wäre.
Haltlos hustend und von einem heißen, entsetzlichen Gestank halb erstickt, versuchte Pamina, den Körper zu treffen, doch ihr Dolch schien ins Leere zu stoßen.
Etwas Krallenartiges zerkratzte ihr den Arm; sie spürte, daß sie blutete. Pamina hatte sich noch nie in ihrem Leben ernsthaft verletzt, und der Schmerz lahmte sie schier. Doch schlimmer als der Schmerz war das Entsetzen, war der Gedanke, daß dieser schreckliche Schnabel nach ihren Augen hacken und sie erblinden könnte, und so kämpfte sie in einer alptraumartigen Raserei, als stürmten alle Schrecken des Lebens auf Pamina ein. Schmutz, Schleim, schwammige, widerliche, abstoßende Berührungen im Dunkeln… wieder und wieder fand der Dolch keinen Widerstand, schienen die Stöße ins Leere zu gehen. Doch der Schmerz der Krallen und der Schnabelhiebe, die sie trafen, waren Wirklichkeit.
Bei der Prüfung der Luft hätten wir zu Tode stürzen und im Wasser ertrinken können, ehe wir den wahren Sinn der Prüfung erkannten. Doch die Gefahr für das Leben hatte nichts mit der eigentlichen Prüfung zu tun. Doch worauf kam es hier an? Pamina dachte darüber so verzweifelt nach, wie sie sich gegen dieses Scheusal wehrte, das in der Dunkelheit nach ihr stieß. Für sie gab es nur noch den Schmerz, das Entsetzen und den Alptraum des widerlichen, unsichtbaren Wesens, gegen das sie kämpfte. Ihre Hand mit dem Dolch erlahmte, und der Arm, den sie schützend vor das Gesicht hielt, um die Schnabelhiebe abzuwehren, war naß von Blut und Tränen. Pamina wich zurück und spürte, wie ihre Ferse sich verfing. Sie stürzte zu Boden. Der Dolch fiel ihr aus der Hand, und sie wußte, das Scheusal war im nächsten Augenblick über ihr.
Denk nach, Pamina! ermahnte sie sich verzweifelt, du mußt handeln können! Denk darüber nach, was du tun sollst, oder dieses Wesen wird dich töten, ehe du den wahren Sinn der Prüfung weißt!
Sollte sie etwa ihre neuentdeckten Zauberkräfte einsetzen?
Aber woher wußte sie, daß nicht auch Monostatos die Macht besaß, sich in ein unbekanntes und unvorstellbares Wesen zu verwandeln? Woher wußte sie, daß dies nicht Monostatos in einer schrecklichen Gestalt war?
Mochten es Monostatos oder ein anderes Scheusal sein, das ihre
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