Tochter der Nacht
meine Hand…«
Doch die Hand der Sternenkönigin war immer noch glatt und faltenlos. Sie strafte den Anschein von Alter und Kummer Lügen – jawohl, vorgespiegelt, um mich zu betören –.
Pamina wich zurück.
»Sarastro hat mir nur gesagt, was ich als Wahrheit erkenne«, erwiderte sie, »und du hast mir eine Lüge nach der anderen erzählt. Was ist mit den Opfern, Mutter? Soll ich über eine Welt herrschen, die im Blut ertrinkt? Was…«, eine Erinnerung, die sie bewußt beiseite geschoben hatte, drängte sich ihr wieder auf, »was ist mit Rawa, Mutter? Warum hast du sie opfern lassen, nachdem du mir ihre Sicherheit versprochen hattest?«
»Rawa?« Die Sternenkönigin runzelte die Stirn. Für Pamina war das noch schrecklicher. Ihre Mutter erinnerte sich nicht einmal daran, daß Rawa einst ein Opfer war. »Wovon sprichst du, mein Kind?«
»Von meiner Amme. Du hast Papagena das Leben geschenkt, und Rawa verschwand. Ich wußte damals nicht, daß sie geopfert werden sollte.«
»Ach, diese Hunde-Frau. Sie war auch Kamalas Amme, wenn ich mich recht erinnere. Ich hatte ihren Namen vergessen.« Die Sternenkönigin schwieg einen Augenblick. »Warum auch nicht? Es gibt genug Halblinge. Ich hätte dir gerne ein Dutzend Hunde-Halblinge geschenkt, wenn ich gewußt hätte, daß dir an ihnen etwas liegt.«
Pamina wollte erwidern: Aber ich habe sie geliebt! Doch plötzlich wußte sie – und das war das Schlimmste –, daß diese Worte für ihre Mutter keine Bedeutung besaßen. Wenn die Sternenkönigin nicht verstand, daß sie Rawa geliebt hatte, was waren dann alle ihre Beteuerungen der Liebe wert?
Die Mutter stand noch immer mit ausgestreckter Hand vor ihr, doch Pamina fehlte der Mut, ihr Angebot zurückzuwei-sen. Im Geist hörte sie bereits den wütenden Aufschrei, den Donner ihres Zorns, sah die furchterregende Majestät der Sternenkönigin und sank in sich zusammen. Oh, wenn sie doch nie wieder diese Wut, das Donnern ihres Zorns erleben müßte, wenn sie nie wieder sich zu entscheiden hätte…
Ich kann mich verwandeln. Dies ist wirklich das Land der Wandlungen, und niemand kommt unverändert daraus zurück.
∗ ∗ ∗
Sie könnte sich in einen Vogel verwandeln und in die Freiheit fliegen…
Aber sie war schon einmal so geflohen, und die Mutter war neben ihr geflogen als großer Wolken-Vogel, der sie überreden und dazu verleiten wollte, Tamino fallenzulassen. Als Vogel konnte sie nicht aus dem Reich der Mutter fliehen…
Plötzlich überkam Pamina der heftige Wunsch, ein Baum zu werden, zu spüren, wie ihre Füße Wurzeln schlugen, die sich hinunter in die gute Erde streckten. Sie wollte die Arme aus-breiten und fühlen, wie aus ihnen Zweige und Blätter wuchsen… Gute und böse Vögel konnten in ihren Ästen Nester bauen. Dann wäre sie nicht mehr gezwungen, ihrer Mutter zuzuhören oder ihren Lockungen zu lauschen. Dann gab es dieses schreckliche Geheimnis der Wahl für sie nicht mehr.
Zögernd grub Pamina die Zehen in den Sand und spürte am ganzen Körper das Vibrieren des Wachstums, als sie sich auf der Suche nach Wasser im Wüstensand ausbreiteten. Pamina hob die Arme und zwang sie unter Aufbietung all ihrer Kräf-te, Äste zu treiben, sich mit Rinde zu umgeben und Blätter hervorzubringen…
»Gut, bleibe hier!« schleuderte ihr die Sternenkönigin zornig entgegen und ragte plötzlich bis in den Himmel, ihre Stimme rollte wie Donner, und aus ihren Händen zuckten Blitze. Pamina verkroch sich zwischen den Blättern, zwang sich, taub, stumm und teilnahmslos zu sein; sie wollte nie wieder durch Flehen gerührt werden…
Also war sie doch besiegt, empfindungslos und erstarrt. Die Sternenkönigin hatte gewonnen, und sie hatte die Prüfung des Feuers nicht bestanden. Pamina zog sich verängstigt in Teilnahmslosigkeit zurück, wie die Mutter es immer befohlen hatte, denn etwas in ihr wollte es so. Etwas in Pamina hatte immer blind und taub gegenüber der Mutter sein wollen.
Doch die wirkliche Pamina wehrte sich, wie sie in der Dunkelheit gegen das schreckliche Geschöpf gekämpft hatte.
∗ ∗ ∗
Sollte sie den Kampf aufgeben und zulassen, daß die Lügen ihrer Mutter siegten? In Sarastros Reich hatte sie etwas anderes gelernt… Also gab es keinen Rückzug in die Erde.
Bedauernd streckte Pamina die Hände aus und sah die Blätter traurig zu Boden fallen. Mühsam riß sie die Wurzeln aus der Erde und fühlte, daß sie wieder auf menschlichen Füßen stand. Pamina holte tief Luft und spürte, wie
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