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Tochter des Glueck

Tochter des Glueck

Titel: Tochter des Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
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Kohlblätter achtlos auf den Boden fallen ließen. Diese Reste wurden alle schon vor Monaten geplündert, daher sind meine Schwiegermutter und ich mittlerweile zu einem der nahezu brachliegenden Weizenfelder weitergezogen, auf dem wir mal hier, mal da ein Korn finden. Es hieß, wir sollten mehr Wert auf Quantität als auf Qualität legen, aber wir haben beides nicht. Unsere Reisrationen wurden auf ein halbes jin pro Person reduziert – das reicht für eine einzige Schale Reisbrei am Tag. Ich hebe ein Weizenkorn auf, stecke es mir in die Tasche und gehe zu Fu-shee hinüber.
    »Ich glaube, das Baby kommt bald«, sage ich. »Heute haben frühmorgens die Wehen eingesetzt. Sie sind mittlerweile ziemlich stark. Wir sollten besser nach Hause gehen.«
    Fu-shee hat ihre Kinder alle zu Hause auf dem Boden in der Ecke des Hauptraums bekommen. Wenn sie das kann, dann kann ich das auch, vor allem, wenn sie dabei ist und mir hilft. Aber sie schüttelt den Kopf.
    »Im Wöchnerinnenhof bist du besser dran«, meint sie. »Wenn dein Kind dort geboren wird, bekommst du zusätzlich zu essen.«
    Im Neuen China bekommen Mütter von Neugeborenen acht Wochen Mutterschaftsurlaub, fünfzehn Meter Baumwollstoff, zwanzig jin Weißmehl und drei jin Zucker. Das ist alles wichtig, aber Voraussetzung ist, dass ich im Wöchnerinnenhof entbinde.
    »Ich habe Angst, dorthin zu gehen«, gestehe ich.
    Wegen der Hungersnot gibt es zu viele Totgeburten. In der Kommune fürchtet man, dass der Wöchnerinnenhof von Dämonen heimgesucht wird, die den ersten Atemzug eines Babys stehlen wollen.
    »Lass dich nicht von dem feudalistischen Glauben an Fuchsgeister und solche Sachen beeinflussen«, ermahnt mich Fu-shee, die nicht begreift, dass meine Gründe ganz praktischer Natur sind. »Sung-ling hat ihre Tochter letzte Woche auch im Wöchnerinnenhof bekommen. Die beiden leben noch. Jetzt könnt ihr vier dort zusammen sein.«
    Fu-shee beugt sich vor, kratzt in der Erde und pickt noch ein paar Körner heraus. Sie legt sie sich auf die Handfläche, pustet sie sauber und streckt sie mir entgegen, als Erinnerung, dass diese kleinen Getreidekörnchen unseren zwölfköpfigen Haushalt am Leben halten. Das versprochene Mehl und den Zucker kann man nicht so einfach ablehnen.
    Fu-shee bringt mich zum Wöchnerinnenhof, der im Mondteichdorf liegt. Die Wehen kommen nun öfter und so heftig, dass wir manchmal stehen bleiben müssen, damit ich mit dem Schmerz fertigwerde. Ich wünschte, meine Mutter wäre hier, und ich verstehe nicht, dass sie nicht da ist. Ich wünschte, in ihren Briefen würde sie auf meine Briefe an sie antworten. Ich verstehe auch nicht, was das bedeutet. Ich habe absichtlich nicht offen über die Hungersnot geschrieben, denn ich war mir sicher, dass das nicht an den Zensoren vorbeigehen würde. Stattdessen habe ich geschrieben, wie sehr ich die Küche meines Vaters vermisse. Ich habe sogar bestimmte Gerichte aus dem Familienrestaurant erwähnt und wie der Reis immer roch, in der Hoffnung, sie schickt ein paar Zutaten oder eine Tüte Reis. Vielleicht sind sogar diese Andeutungen schon zu viel, und die Zensoren schwärzen diese Zeilen. Vielleicht kommen meine Briefe auch gar nicht durch. Noch eine Wehe. Ich will meine Mutter bei mir haben, aber hier ist nur Fu-shee.
    Wir kommen im Wöchnerinnenhof an – ein großes Haus, das bei der Gründung der Kommune konfisziert und dann seiner neuen Bestimmung entsprechend umgewandelt wurde. Meine Schwiegermutter erklärt der Hebamme, dass ich aus einer Großstadt komme und noch nie gesehen habe, wie ein Baby geboren wird. Die Hebamme sieht mich mitleidig an und führt mich in ein Zimmer. Ich soll die Hose ausziehen und mich in eine Ecke setzen, wo sie ein Tuch ausgebreitet hat. Ich hocke mich in die richtige Position und stütze mich an der Wand ab. Die Wehen kommen schneller und stärker. Ich würde am liebsten schreien, aber das gehört sich nicht. Doch selbst mit zusammengebissenen Zähnen entfährt mir manchmal von irgendwo tief in mir ein Stöhnen. Meine Schwiegermutter und die Hebamme sehen mich missbilligend an. Als ich nach unten schaue, sehe ich eine Wölbung zwischen meinen Beinen. Gerade als ich das Gefühl habe, dass da unten gleich alles aufreißt, greift die Hebamme unter mich und setzt einen Schnitt an.
    Als sie endlich sagt, ich soll pressen, gehorche ich gerne. Das ist der leichteste Teil, zumindest für mich. Ich bekam in den vergangenen Monaten nicht viel zu essen, und das Baby ist klein und

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