Der Grenzgänger
Renatus Fleischmann
Ich konnte nach dem unergiebigen Telefongespräch nur noch verwundert den Kopf schütteln, tief durchpusten und mir mit beiden Händen durchs kurz geschorene, blonde Haar kratzen. Da bahnte sich eine undurchsichtige Geschichte an, befürchtete ich und ich entschloss mich, nach Möglichkeit meine Finger davonzulassen. Allein schon der Name, den ich vor wenigen Augenblicken vernommen hatte, war mehr als befremdlich und verhieß Ungewöhnliches, wenn nicht sogar Ungemach.
Wie konnte ein normaler Mensch bloß Renatus Fleischmann heißen?
Aber so hieß nun mal der Mann, den ich suchen sollte, weil er angeblich oder tatsächlich verschwunden war, und den ich nicht suchen wollte, eben weil er Renatus Fleischmann hieß und weil mir obendrein das sonderbare Verhalten meiner möglichen Auftraggeberin überhaupt nicht gefallen hatte.
Ich hatte mir nichts dabei gedacht, als mir meine Liebste und Sekretärin Sabine kurz vor der Mittagspause ein Telefonat mit einer gewissen Frau Doktor Leder durchstellte. Für mich war das ein Anruf wie so viele im Laufe eines normalen Arbeitstages. Üblicherweise steckte ein banales Alltagsgeschäft dahinter, vielleicht eine verprügelte Gattin oder die unterbliebene Unterhaltszahlung eines ehemaligen Gemahls.
„Tobias, es gibt vielleicht Arbeit für dich“, hatte Sabine froh gelaunt gelästert, als sie mich aus meinem Büroschlaf aufweckte. „Wir haben erst Anfang Oktober, es ist noch viel zu früh für deine Winterruhe.“
Ich ging auf die flapsige Bemerkung nicht weiter ein, brav und artig meldete ich mich mit meinem „Grundler“ und erinnerte mich schon beim ersten, forschen Laut, den die Frau am anderen Ende der Leitung von sich gab, dass ich nicht zum ersten Mal mit ihr sprach.
Es fiel mir sofort ein: Die Frau Doktor war die Freundin von Maria Guillot, jener aus Aachen stammenden und jetzt auf Mallorca wirkenden Künstlerin, die meinen letzten Sommerurlaub ganz gehörig durcheinander gewirbelt hatte. Die Erinnerung an die turbulenten Ereignisse auf der Ferieninsel, die zumindest in mittelbarem Zusammenhang mit dieser Person gestanden hatten, deutete nicht gerade auf eine angenehme oder belanglose Plauderei hin, sondern kündigte drohendes Unheil an. Höchste Konzentration schien durchaus angebracht.
„Was kann ich für Sie tun, Frau Doktor Leder?“, fragte ich höflich in meiner zuvorkommenden Art, während ich mich bequem im Sessel zurücklehnte und die Beine auf dem Schreibtisch übereinander schlug.
„Kennen Sie Renatus Fleischmann?“, entgegnete die Frau flott und forsch mit einer Gegenfrage statt mit einer vernünftigen Antwort, was mir überhaupt nicht behagte. „Nein“, bekannte ich spontan, „nie gehört. Muss ich diesen Herrn etwa kennen?“
„Müssen nicht“, antwortete sie schnell, „aber Renatus Fleischmann ist der aufstrebende Stern am Himmel der deutschen Kriminalliteratur.“ Der Mann hätte binnen weniger Jahre einige Kriminalromane geschrieben, die inzwischen bei Kennern schon Kultcharakter besäßen. Die Schar seiner Fans wachse von Monat zu Monat, klärte mich die Frau mit unverblümter Begeisterung für den Typen auf.
„Aha“, bemerkte ich gedehnt, weil mir im Moment nichts Besseres einfiel. Zwar war mir die Krimiszene im Allgemeinen nicht gänzlich unbekannt und waren mir die Aachener Krimis aus der Reihe „Tatort Grenzland“ im Besonderen durchaus geläufig, bildete ich mir jedenfalls ein; aber ein Krimiautor namens Renatus Fleischmann war mir im bisherigen Verlauf meines nicht gerade langweiligen Lebens noch nicht über den Weg gelaufen.
Wahrscheinlich übertrieb die Gute maßlos. „Bei manch einem dauert es halt etwas länger, bis er die wahren Qualitäten unserer besten deutschsprachigen Autoren erkennt“, hielt mir Frau Doktor Leder wenig respektvoll entgegen. „Und wenn der Schriftsteller dann auch noch aus dem Aachener Raum stammt, hat er es besonders schwer.“
Ich schwieg zu der unterschwelligen Unterstellung, ein Literaturbanause zu sein. Normalerweise hätte ich von der Frau, die sich, wie ich aus meiner Erinnerung herauskramte, als Journalistin ausgab, etwas mehr Respekt erwarten können. Immerhin hatte ich ihre Freundin Maria Guillot aus den Klauen skrupelloser Verbrecher gerettet und dadurch der bildenden Kunst eine vermeintliche Jahrhundertkünstlerin erhalten, dachte ich in der mir eigenen Bescheidenheit.
„Renatus Fleischmann ist ein schriftstellerisches Genie“, fuhr
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