Tochter des Glueck
einem Vorrat für das, was meine Mutter und Tante immer den Besuch der kleinen roten Schwester genannt haben. Was soll ich jetzt tun?
Kumei wünscht mir Gute Nacht, und ich schließe die Tür zu meinem Zimmer. Ich setze mich auf den Bettrand – Hartholz mit Federpolster und einer Steppdecke – und versuche immer noch, mit all dem klarzukommen. Ich wünsche mir ein vollkommenes China und eine bereichernde Zeit hier, aber vieles, was ich heute gesehen habe, ist entweder primitiv oder macht mir irgendwie Angst. Ich atme tief ein, um mich zu beruhigen, und sehe mich um. Das einzige Fenster ist lediglich eine Öffnung, ebenfalls ausgefüllt von einem geschnitzten Holzgitter. Es wird jetzt schnell dunkel, und die Zikaden machen einen Heidenlärm. Auf dem Tisch steht ein Öllämpchen, aber ich habe keine Streichhölzer, um es anzuzünden. Ich hätte aber auch gar nichts zu lesen dabei. Die Wände erdrücken mich. Es ist unfassbar heiß. Ich starre den Abortkübel an. Ich dachte, ich würde es schaffen, aber ich kann mich einfach noch nicht überwinden, dieses Ding zu benutzen. Ich höre Z. G. im mittleren Raum vor der Tür und gehe zu ihm hinaus.
»Wie war dein Tag?«, fragt Z. G.
Seine Frage stellt mich vor ein Dilemma. Ich möchte mich einfügen, aber ich sehe nicht so aus, als würde ich hierhergehören, und ich benehme mich sicherlich auch nicht so. Ich möchte, dass Z. G. mich mag, doch mir ist klar, dass ich für ihn völlig überraschend kam und eine unerwartete Last bin. Vor allem möchte ich China lieben, aber alles ist so fremd.
»Es ist genau, wie ich es mir vorgestellt habe, nur besser«, sage ich, will es ihm mit meiner Antwort recht machen. Wie kann ich es ihm erklären? Ich bin weit entfernt von den Annehmlichkeiten, mit denen ich aufgewachsen bin, doch das ist genau das, worüber Joe und ich mit den anderen Studenten in Chicago geredet haben. »Meine Mutter und meine Tante haben immer gesagt, man erkennt den Luxus erst, wenn man ihn nicht mehr hat. Sie haben viel verloren, als sie China verließen, aber ich habe ihre Gefühle nie verstanden. Wer braucht Luxus, wenn man Ziele, Herzensgüte und Leidenschaft besitzt?«
»Du lebst dieses Leben doch gar nicht richtig.« Z. G. erkennt meine falsche Begeisterung. »Du weißt nicht, wie der Alltag ist.«
»Das stimmt, aber das bedeutet nicht, dass ich nicht froh bin, hier zu sein«, entgegne ich. Ich bin sehr hellhörig gegenüber dem, was mein neuer Vater sagt. »Und ich glaube, die Leute hier freuen sich auch, dass wir da sind.« Ich halte inne, dann korrigiere ich meine Aussage. »Dass du hier bist. Sie werden eine Menge von dir lernen.«
»Das bezweifle ich«, antwortet er, und wieder frage ich mich, warum er so pessimistisch ist. »Wir verbringen die vorgeschriebene Zeit hier, aber diese Bauern werden überhaupt nichts von mir lernen. Du wirst schon sehen. Und ich würde Pearl und May zustimmen. Menschen wie wir sind in Shanghai besser aufgehoben.« Kurz darauf fügt er hinzu: »Selbst so, wie es heute ist.« Aus seiner Tasche zieht er ein Bündel, das wie beigefarbenes Krepppapier aussieht. »Für deinen Abortkübel.«
Er zieht sich in sein Zimmer zurück, ich gehe in meines. Die Wände des Raums sind aus dem gleichen dünnen, dunklen Holz wie alle Bauteile des Hofhauses, die ich bisher gesehen habe. Dünn, damit meine ich richtig dünn, denn ich höre Z. G. im Nebenzimmer pinkeln und furzen. Ich ziehe mich aus, schlüpfe in mein Nachthemd und benutze zum ersten Mal den Kübel. Wenn sich mein neuer Vater nicht schämt, muss ich meine Scham auch überwinden. Nichtsdestotrotz setze ich mich auf die Kante, beuge mich vor und versuche, den Strahl möglichst geräuschlos fließen zu lassen.
Ich lege mich hin. Es ist viel zu heiß, um mich zuzudecken. Durch die Öffnung, in der sich normalerweise eine Fensterscheibe befinden würde, kommt kein frischer Lufthauch. Über das Kratzen und Trippeln der Mäuse in den Dachsparren schlafe ich ein.
P EARL
Eine Witwe sollte …
I ch sitze in einem Flugzeug nach Hongkong. Dort war ich nicht mehr, seit meine Schwester und ich China vor zwanzig Jahren verlassen haben. Auf dem schmalen Sitz rast mir meine Vergangenheit durch den Kopf. Meine Schwester – eine selbstsüchtige Frau, die ich zu beschützen versuchte, seit sie ein Baby war, und die mir das damit vergolten hat, mich immer und immer wieder zu betrügen – geht mir nicht aus dem Sinn. Meine Tochter erfüllt mein Herz mit Sorge. Mein Mann Sam … Ach,
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