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Tochter des Glueck

Tochter des Glueck

Titel: Tochter des Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
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Soldaten vergewaltigt und fast zu Tode geprügelt worden war. Stattdessen lud sie mich – bewusstlos – auf einen Schubkarren und schob mich über das Land, bis ich in Sicherheit war. Sie verkümmerte nicht, als sie mir die Tochter geben musste, die sie neun Monate lang in sich getragen und geliebt hatte. Neunzehn Jahre lang zögerte sie nicht ein einziges Mal, Joys Tante zu spielen. Sie behielt das Geheimnis für sich. Durch das Bewahren dieses Geheimnisses hat sie ihre Tochter und mich geehrt. Sie würde jetzt nicht die ganze Nacht in einem Hotelzimmer weinen und trauern.
    Kurz vor Sonnenaufgang stehe ich auf, gehe unter die Dusche und ziehe mich an. Ich schaue in den Spiegel. Ich bin einundvierzig, und habe trotz allem, was ich durchmachen musste, kein einziges graues Haar. Ich war nie wie meine Schwester, deren ganzes Vermögen ihr Gesicht ist. Doch trotz der Widrigkeiten der vergangenen Wochen sind meine Wangen noch rosa. Nur in meinen Augen sehe ich den Abgrund meines gequälten Herzens, einen Mahlstrom aus Trauer und Verlust.
    Ich gehe nach unten und bestelle eine Schale Reisbrei und eine Kanne Jasmintee. Die Mahlzeit ist so einfach wie möglich. Ich bin eine Witwe, die alles verloren hat. Wie könnte ich ein englisches Frühstück zu mir nehmen, das aus Eiern, Speck, geschmorten Tomaten und Toast besteht?
    Nach dem Frühstück frage ich am Empfang nach der Adresse der Soo-Yuen-Wohltätigkeitsorganisation, denn ich hoffe, man kann mich dort wegen der Reise nach China beraten und mir außerdem sagen, wie ich mit meiner Schwester Post austauschen kann, wenn ich dort bin. Die Organisation wurde gegründet, um Familien wie den Louies, den Fongs und Kwongs zu helfen. Mein Schwiegervater nahm ihre Dienste jahrelang in Anspruch. Vater Louie hielt Kontakt zu seinem Heimatdorf Wah Hong, obwohl er fast sein ganzes Leben in Amerika verbrachte. Er schickte Teegeld an seine Verwandten, selbst wenn das für uns bedeutete, dass wir Opfer bringen mussten. Als China geschlossen wurde, musste er die Organisation in Anspruch nehmen, um Geld über die Grenze zu seiner Familie zu bringen. Nachdem Vater Louie gestorben war, schickte Sam weiterhin Geld nach Wah Hong, und das betrachteten die Agenten des FBI und des INS als sein größtes Verbrechen. Fast höre ich noch, wie Sam zu ihnen sagte: »Wir tun für unsere Verwandten, die in diesem schlimmen Land gefangen sind, was wir können.« Das war den Agenten offenbar egal. Wenn May mir also Briefe und Geld direkt nach Rotchina schickt, wird das FBI ihr vorwerfen, sie sei eine Sympathisantin der Kommunisten, genau wie Sam. Gleichzeitig habe ich keine Ahnung, was mich auf der anderen Seite der Grenze erwartet. Es hieß, dass Post häufig geöffnet, gelesen und zensiert oder gleich in den Müll geworfen wird. Ich weiß auch, dass Chinesen, die es wagen, Briefe ins Ausland zu schicken oder Post aus dem Ausland zu empfangen – so unschuldig der Inhalt auch sein mag – als heimliche Kapitalisten oder Spione gelten können.
    Draußen auf den Straßen Hongkongs tobt das Leben: Blumen- und Vogelhändler, Straßenmärkte, britische Geschäftsleute in Dreiteilern, schön gekleidete Frauen, die sich mit Schirmen vor der Sonne schützen. Ich könnte behaupten, Hongkong sei nur eine größere, grellere, reichere, kosmopolitischere Version von Chinatown, aber dann müsste ich auch zugeben, dass es meiner angenommenen Heimat gar nicht so sehr ähnelt, bis auf das Essen, die Ströme von weißen Touristen und die chinesischen Gesichter. Ich könnte sagen, dass Hongkong dem Shanghai näherkommt, das ich in Erinnerung habe, mit dem belebten Hafenviertel, käuflichem Sex, dem sündigen Leben, dem Geruch von Parfüm, Kohle und Köstlichkeiten, die direkt auf der Straße zubereitet werden, außer dass es weder so prachtvoll noch so wohlhabend ist wie die Stadt meiner Kindheit.
    Eine Stunde später bin ich im Büro der Soo-Yuen-Wohltätigkeitsorganisation. Ich gehe auf einen etwa fünfzigjährigen Mann in einem billigen Anzug zu, der hinter einem Tresen steht und Tee trinkt. »Mein Name ist Pearl Louie, und ich komme aus Los Angeles«, platze ich heraus. »Meine Tochter wurde in Amerika geboren. Äußerlich sieht sie chinesisch aus, aber sie ist Amerikanerin. Meine Tochter …« Tränen treten mir in die Augen, doch es gelingt mir, sie zurückzuhalten. »Sie ist erst neunzehn und ist weggelaufen, nach China, um ihren Vater zu suchen – ich bin mir ziemlich sicher, dass sie in Shanghai ist. Sie hält

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