Tochter des Glücks - Roman
als mein Flug mit Pan Am über den Pazifik. Samantha brüllt die ganze Strecke. Ta-ming hält den Geigenkasten seines Vaters auf dem Schoß. Er drückt ihn mir gerade noch rechtzeitig in die Hände, bevor er sich zur Seite beugt und sich in den Mittelgang übergibt. Tao und Z. G. rauchen ohne Unterlass, wie die meisten anderen Passagiere auch. Es ist ein langer Flug mit vielen Turbulenzen. Ich schaue aus dem Fenster und sehe zu, wie Festlandchina unter mir vorbeizieht.
Als wir in Kanton aus dem Flugzeug steigen, fällt mir als Erstes auf, wie viel wärmer es hier ist als in Shanghai. Es fühlt sich an wie Los Angeles, und das liebe ich. Dann höre ich Kantonesisch. Ich sehe Joy an. Das ist der Klang von Chinatown. Wir sind noch in China, nähern uns aber der Heimat. Wir strahlen, aber genauso schnell bringen wir unsere Gesichtszüge wieder unter Kontrolle, denn wir dürfen nicht den Anschein erwecken, als hätten wir einen besonderen Grund, glücklich zu sein.
Mit zweisitzigen Fahrradrikschas fahren wir zum Hotel. Die Straßen sind voll von Flüchtlingen mit ihren Bündeln, Kindern und allem, was ihnen wichtig ist. Alle wollen heraus. Das Hotel ist genau so, wie ich es in Erinnerung habe, und ich muss daran denken, was ich hier mit Z. G. gemacht habe. Als sich unsere Blicke treffen, weiß ich, dass auch er sich erinnert. Betreten schaue ich weg und rücke etwas näher zu Dun. Wir bekommen drei Zimmer: eines für Z. G., eines für Tao und Joy (das arme Ding) und eines für die Kinder, Dun und mich, da ich als Amah dabei bin.
Tao scheint kaum beeindruckt vom Hotelfoyer. Seit der Geschichte mit dem Reiswaschen in der Toilette hat er es weit gebracht. Doch zum ersten Mal entdecke ich eine Spur Nervosität an ihm. Hier sprechen alle Kantonesisch. Er beherrscht den Shanghaier Dialekt mittlerweile zwar relativ gut, aber Kantonesisch ist völlig anders als Mandarin, der Wu-Dialekt von Shanghai oder der Dialekt seiner Heimat im Gründrachendorf. Wir müssen uns alle immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass Tao keinen Verdacht schöpfen darf, doch ich kann gar nicht sagen, wie aufregend es ist, nur hundert Meilen von Hongkong entfernt zu sein.
Am Morgen kommt Joy in unser Zimmer, und wir gehen gemeinsam mit Dun ein letztes Mal unseren Plan durch. Wir werden uns für die Eröffnungsfeierlichkeiten angemessen kleiden. Joy – die Ehefrau des Vorbild-Bauernkünstlers – zieht die einfache Baumwollbluse und die Hose an, die sie trug, als ich sie in einem Schubkarren aus dem Gründrachendorf geschoben habe, Dun einen schlecht sitzenden dunklen Anzug im westlichen Stil, der den Eindruck erwecken soll, dass er als Hongkongchinese die Messe besucht; die Kinder stecken wir in Schwarz, damit man sieht, dass sie vom Land kommen, und ich ziehe das an, was ich trug, als ich China verließ, es wieder betrat und worin ich es hoffentlich später am heutigen Tag wieder verlassen werde – die Bauernkleidung, die May vor vielen Jahren für mich gekauft hat.
»Ich trage die Kleine«, wiederholt Joy.
»Ich bin verantwortlich für Ta-ming und habe unser Geld in der Hose«, sage ich.
»Ich habe unsere Papiere hier.« Dun klopft auf seine Jacke. »Um neun müssen wir zur Eröffnung der Kunstausstellung da sein.«
Wir waren uns einig, dass das notwendig ist, aber es wird uns schwerfallen, weil wir so ungeduldig sind und endlich fliehen wollen. Aber Tao würde sich wundern, wenn wir nicht auftauchen würden, und die Organisatoren der Messe noch viel mehr, denn immerhin haben sie Tao, seine Frau und ihre kleine Tochter zu diesem besonderen Ereignis eingeladen.
»Sobald die Vorführung von Z. G. und Tao beginnt, schleichen wir uns aus dem Saal und gehen zum Bahnhof«, fährt nun Joy fort. Wir sprechen über ein äußerst gefährliches Vorhaben, aber sie klingt ruhig und entschlossen. Meine Tigertochter springt wieder.
»Und dann sind es nur zwei Stunden bis Hongkong«, sage ich, ermutigt durch Joy.
Wir gehen hinunter in den Speisesaal und setzen uns zu Z. G. und Tao. Z. G. trägt einen seiner elegantesten Mao-Anzüge, passend zu seiner Stellung. Tao trägt ebenfalls einen Mao-Anzug, aber Stoff und Schnitt sind von minderer Qualität. Im Gegensatz zu Joy, die immer noch aussehen muss wie die Frau eines Bauern, zeigt Tao der Welt, dass er Z. G.s Schützling ist. Er geht stolz und aufrecht und lächelt breit.
Die Messe ist international, und das sieht man auch am Buffet: hart gekochte Eier, Joghurt und pikante Fladenbrote für Besucher aus
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