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Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schäfer
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    Das Meer war schiefergrau, aufgebrochen vom Wind. Männer von der Besatzung winkten Autos zur Rampe. Ein Grenzsoldat verriegelte die Hecktüren eines Lastwagens. Die Luft roch nach Abgasen und verbranntem Gummi.
    Gabor Lorenz stand auf der Pier, beruhigt vom Blick auf die andere Seite des Golfs. Die Berge hinter den Küstenhügeln wirkten im Dunst wie eine Fata Morgana, und auf der Uferlinie flackerten schon winzige Lichter: Das zerfurchte Wasser, die Silhouetten des Gebirgsmassivs und, von einer Nadel ins Bild gestochen, die Reihe leuchtender Punkte – er sog die Ansicht auf, als könne er sie mitnehmen wie einen Talisman. Er hatte keine Ahnung, was nach ihrer Rückkehr, was in den Wochen bis zu seinem Vortrag geschehen würde, doch in diesem Augenblick fühlte er sich vorbereitet, sicher. Obwohl das Schiff in Kürze auslaufen würde, war er noch einmal an Land gegangen. Aber es gab nichts zu tun. Er hatte nur diesen Moment für sich allein gebraucht, den letzten Blick aus der Sorglosigkeit des Sommers.
    Er schlenderte die Auslagen der Touristengeschäfte entlang, kaufte an einem Stand Bananen und dachte an die Insel. An das Rascheln der Gräser und die rauen Trittsteine auf dem Weg durch die Macchia hinunter zum Strand. Gestern Morgen hatten Ziegen inmitten ihres Kräuterbeets gestanden und mit klingenden Halsglöckchen Thymian und Salbei gezupft, während er mit seiner Frau und den Kindern wenige Schritte entfernt auf der Terrasse gefrühstückt hatte, leise, um ihren Besuch nicht zu vertreiben.
    Der dröhnende Motor eines anfahrenden Lastzugs schreckte ihn auf. »Ψάρια-Pesci-Fische« prangte in eisblauen Lettern auf der Seitenwand, darunter schnappten Comicfische mit gebleckten Zähnen nach ihrem eigenen Schwanz. Als der Fahrer den Gang wechselte, setzte der Lärm kurz aus und kam als tiefes, auf der Betonfläche hallendes Brummen wieder. Da bemerkte Gabor eine Gestalt, die am Anhänger des Lastwagens herlief, geduckt, als wollte sie nicht gesehen werden. Im nächsten Moment sprang der Mann in die Nische zwischen Zugmaschine und Hänger und stemmte sich mit einer geschickten Bewegung in die Höhe. Der Saum der Jeans, der Turnschuh wie schwebend in der Luft – schon war von ihm nichts mehr zu erkennen. Gabor starrte ungläubig auf die Stelle, wo er gerade noch eine Hand und den Ärmel eines blauen Sweatshirts gesehen hatte und sich jetzt die Kante eines Stahlprofils langsam entfernte. Er blickte sich um, als hätte er etwas Verbotenes getan. Der Einweiser ging weiter neben der Fahrerkabine. In der Nähe der Müllcontainer unterhielten sich zwei Polizisten, die Maschinenpistolen locker über der Schulter. Ein junges, mit Rucksäcken beladenes Paar eilte vorbei. Niemand schien etwas bemerkt zu haben. Mit seufzenden Federn stießen die Vorderräder auf das Eisen der Rampe, dann schepperte der Laster die Auffahrt hinauf und verschwand im Bauch der Fähre.
    Der Himmel war niedrig, wolkenverhangen. Auf der Straße hinter dem Stacheldrahtzaun rauschte der Feierabendverkehr. Die Obsttüte schlug gegen seinen Oberschenkel, während Gabor der Gangway zustrebte, mit einem erhebenden Gefühl des Auserwähltseins und einem darüber vor Schreck geschrumpftem Herzen, das, hart wie eine Holzkugel, gegen die Innenseite seines Brustkorbs hämmerte.
    Er fand seine Familie im »Children’s Paradise«, einem fensterlosen Raum unter dem Hauptdeck, und der Anblick seines Sohnes auf der Plattform eines Klettergerüsts rührte ihn, als hätte er ihn lange nicht gesehen. Mit spitzem Schrei fiel Malte in die offenen Arme seiner Schwester, um gleich darauf, begleitet von Eroberungsgeheul, die Rutsche hinaufzustürmen. Eine junge Mutter führte an ihren Zeigefingern ein kleines Kind auf ein Becken mit bunten Bällen zu, sonst war nur Berit anwesend. Einen Kugelschreiber zwischen den Lippen, saß sie auf einer Bank hinter Miniaturhäusern aus pinkfarbenem Plastik und studierte etwas in ihrem zerfledderten Italien-Führer.
    »Sag mal, irre ich mich oder befand sich diese Spielhölle vor vier Wochen noch an Deck? Riechst du das? Ammoniak. Die Klimaanlage ist kaputt«, sagte er.
    Berit blickte auf, schenkte aber nicht ihm, sondern den Kindern ein Lächeln.
    »Vielleicht nicht das gleiche Schiff?«, murmelte sie und las dort weiter, wo die Spitze ihres Zeigefingers lag.
    Malte schrie: »Ungerecht«, als Nele ihn dort oben stehen ließ und zu ihnen kam. Ledersandalen, Pumphosen aus türkisem Leinen, weißes Herrenunterhemd, aus dem ihre

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