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Tod im Dom

Tod im Dom

Titel: Tod im Dom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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verborgen hatte. Er sah nicht so aus, als würde ihm der Tod gefallen.
    Im gleichen Moment zerriß ein grauenvoller Schrei die Stille des Doms. Ich hatte noch nie in meinem Leben einen derartigen Schrei gehört. Er klang nach nacktem Horror, Hysterie und Massenmord.
    Benommen drehte ich mich um.
    Es waren meine amerikanischen Touristen.
    Sie standen nur ein paar Meter von mir entfernt.
    Ich hatte sie nicht kommen hören; ich war zu sehr mit mir und dem Toten beschäftigt gewesen. Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihre Gesichter in einer Mischung aus Faszination und Grausen verzerrt. Sie sahen mich mit einem blutigen Messer, das mir nicht gehörte, hinter einer Leiche stehen, die ich nicht einmal lebend gekannt hatte, und ich ahnte, was sie dachten.
    »Oh, nein!« sagte ich laut. »Das Ganze ist ein furchtbares Mißverständnis!«
    Sie verstanden mich nicht; und wenn sie mich verstanden, glaubten sie mir nicht. Eine der Frauen stieß erneut diesen grauenhaften Schrei aus, als wäre die Situation nicht auch so schon scheußlich genug, drehte sich um und rannte kreischend davon. Die anderen wichen langsam zurück, die Augen wie hypnotisiert auf das blutige Messer gerichtet, mit bebenden Lippen ein Wort formend, das ich lieber nicht gehört hätte.
    »Murder… «
    »Oh, nein!« sagte ich verzweifelt und trat einen Schritt auf sie zu, und das hätte ich besser nicht gemacht.
    Sie rannten los, als wäre ihnen der Teufel persönlich auf den Fersen, und verschwanden hinter den Säulen. Ich hoffte schon, mich in aller Ruhe aus dem Staub machen zu können, da kam aus den Arkaden die Frau mit den Fußproblemen angerauscht, dicht gefolgt von ihrem kunstsinnigen Ehemann. Als sie mich und das Messer erblickte, blieb sie so plötzlich stehen, daß der Mann gegen sie prallte und seinen Kunstführer verlor.
    Die beiden starrten mich entsetzt an.
    Ich rang mir ein vertrauenerweckendes Lächeln ab, vergaß dabei aber das blutige Messer in meiner Hand, und das war zuviel für ihre Nerven.
    »Mörder!« kreischte die Frau. »Hilfe! Mörder! Mööörder!«
    Ich ließ das Messer fallen.
    Es gehörte ohnehin nicht mir und würde mich nur in größere Schwierigkeiten bringen, wenn ich noch länger damit herumfuchtelte. Aber das aberwitzige Mörder!-Mörder!- Geschrei brach nicht ab; im Gegenteil, es wurde noch lauter und hallte hundertfach verstärkt im Dom wider.
    Am Ende der Säulen tauchten die ersten Neugierigen auf, und einige schrien aus Solidarität gleich mit, obwohl sie mit Sicherheit nicht wußten, wer wen wo wann wie und aus welchen Gründen abgemurkst hatte.
    Es war ein Alptraum. Ich war ohne das geringste eigene Verschulden in einen Alptraum geraten. Dabei konnte ich alles erklären! Ich konnte ihnen erklären, warum ich mit einem blutigen Messer in der Hand hinter dieser gottverdammten Leiche stand und…
    Konnte ich das wirklich?
    Wohl kaum.
    Also schwang ich mich über die Kirchenbank, schlitterte über den glatten Steinboden, fing mich wieder, hetzte zum Nordportal, stürzte nach draußen in den verdämmernden Wintertag, sprintete über die Domplatte, sprang die Treppe zum Bahnhofsvorplatz hinunter und wußte plötzlich nicht mehr weiter.
    Ich mußte weg, aber wohin?
    In wenigen Minuten würde es rund um den Dom von Polizisten nur so wimmeln. Sie würden die ganze Bahnhofsgegend inklusive Innenstadt absperren und jeden verhaften, der mir auch nur entfernt ähnlich sah. Ich saß in der Falle. Statt ein paar Wochen Winterurlaub auf Ibiza zu machen, würde ich lebenslänglich in den Knast wandern – und das für einen Mord, den ich nicht mal begangen hatte.
    Nur ein Wunder konnte mich noch retten!
    Hinter mir hupte es.
    Ich drehte mich um.
    An der Ampel vor der Unterführung stand ein rosaroter Trabbi. Die Beifahrertür wurde aufgestoßen, und Anja Behrens blickte mit glücklichen Eulenaugen heraus.
    »Kann ich Sie irgendwohin mitnehmen?« rief sie fröhlich. »Vielleicht zur Börse?«
    Ich überlegte nicht lange, sondern stieg ein.
    Von da an gab es kein Zurück mehr.

 
3
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    Es gibt Tage, die verbringt man am besten im Bett, Tage des Wahnsinns und der absurden Verwicklungen, diese großen und schrecklichen Tage im Leben, an denen das Schicksal lautstark an die Tür klopft – und damit meine ich nicht nur den Gerichtsvollzieher.
    An solchen Tagen kann schon das Aufstehen tödlich enden; ein falscher Schritt, und man rutscht aus, knallt mit dem Hinterkopf gegen die Bettkante und ist im Jenseits, noch bevor man guten

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