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Tod im Dom

Tod im Dom

Titel: Tod im Dom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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hätte, kam ich spontan sieben Wochen zu früh zur Welt, und ich bereute es sofort. Sensibel wie ich war, erschien mir die Welt als böser, feindlicher Ort, häßlich und von fragwürdigen Leuten bewohnt und – wie ich später feststellen mußte – auch noch ziemlich teuer. Ich schrie wie am Spieß, aber meine Reue kam zu spät.
    Als ich mit der amerikanischen Touristengruppe in den Dom schlüpfte, hielt ich dies für einen genialen Einfall. Meine Lage war nicht unbedingt rosig, und mir dämmerte inzwischen, daß ich in größeren Schwierigkeiten steckte als je zuvor. Mit meinem Gipsarm hatte ich nicht nur einen guten alten Freund und Partner verloren, sondern auch jede Hoffnung auf ein Weiterleben in der Legalität.
    Schließlich hatte ich ihn eigenhändig modelliert und dabei schätzungsweise hunderttausend Fingerabdrücke in Gips hinterlassen. Die Bullen mußten sie nur mit denen in ihrer Kartei vergleichen, und Harry Hendriks, Taschendieb und Lebenskünstler, war erledigt.
    Bedrückt blieb ich in der zwielichtigen Vorhalle zwischen den beiden Westtürmen stehen und knöpfte meinen Mantel auf, um meinen rechten Arm in den verräterisch leeren Ärmel zu schieben. Während ich darauf wartete, daß sich mein jagender Herzschlag wieder beruhigte, blickten die Steinfiguren an den Wänden mit bekümmerten Gesichtern auf mich herab, als wollten sie meine düsteren Ahnungen bestätigen.
    Diesmal würde ich nicht mit einer Bewährungsstrafe davonkommen wie beim letzten Mal vor zwei Jahren, als ich irrtümlich einem Kripobeamten in die Tasche gegriffen hatte. Diesmal wartete der Knast auf mich. Oder die Klapse, wenn ich das Geld für einen guten Anwalt hatte und auf Kleptomanie machte, aber ich hatte noch nicht einmal das Geld für einen schlechten Anwalt.
    Meine einzige Hoffnung war dieser Bonsai-Pudel.
    Vielleicht war er ja mit meinem Gipsarm durchgebrannt und zernagte ihn in irgendeiner dunklen Ecke bis zur Unkenntlichkeit. Doch bei meinem Glück schleppte er ihn wahrscheinlich geradewegs zum Präsidium am Waidmarkt, um ihn bei der Spurensicherung gegen einen dicken Knochen einzutauschen. Mir blieben nur noch Stunden, im besten Fall ein paar Tage, um mich nach Ibiza abzusetzen, aber dafür brauchte ich Geld.
    Und woher nehmen, wenn nicht stehlen?
    Kaum hatte ich ans Stehlen gedacht, hörte ich hinter mir schnelle Schritte.
    In meiner Panik zuckte ich zusammen und erwartete schon die rachsüchtige Hand des Gesetzes im Genick zu spüren, doch es war nur ein eiliges Ehepaar mittleren Alters, das mit einem Kunstführer bewaffnet an mir vorbei ins Mittelschiff rauschte und beim Anblick des imposanten, von mächtigen Säulen gestützten Gewölbes ergriffen stehenblieb.
    Ich warf einen raschen Blick nach draußen auf die Domplatte.
    Kein Bulle weit und breit.
    Vielleicht hatten sie die Verfolgung aufgegeben. Aber darauf konnte ich mich nicht verlassen. Besser, ich blieb noch eine Weile im Dom, ehe ich mich wieder in die Öffentlichkeit wagte, und kümmerte mich um meine Reisekasse. Ibiza war teuer, und ich hatte heute noch keine müde Mark verdient.
    Meine Blicke kehrten zu dem Ehepaar zurück, das vor lauter Ergriffenheit den Fehler machte, mir den Rücken zuzudrehen. Die beiden wirkten wohlgenährt und wohlhabend genug, um einen kleinen Beutezug zu riskieren. Aber ich mußte vorsichtig sein. Und schnell. Ohne Gipsarm kam es allein auf meine Fingerfertigkeit an.
    »Kolossal«, sagte der Mann und blätterte geschäftig in seinem Kunstführer. »Über 400.000 Kubikmeter umbauter Raum. Das muß man sich vorstellen! Allein das Mittelschiff ist fast 120 Meter lang und 45 Meter breit. Einfach gigantisch!«
    »Mir tun die Füße weh«, klagte die Frau. »Mit diesen Füßen kann ich unmöglich noch 120 Meter weit latschen.«
    »Man könnte hier Fußball spielen«, fuhr ihr kunstsinniger Mann begeistert fort, ohne sich um die Fußprobleme seiner Gattin zu kümmern. »Groß genug ist es ja. Die Säulen müßten dann natürlich weg.« Er blätterte wieder in seinem Kunstführer und spähte dann zum Triforium hinauf. »Da oben im Zwischengeschoß ist ein Laufgang. Könnte die Tribüne werden. 20 Meter über dem Spielgeschehen. Großartiger Überblick.«
    »Also, ich steig’ da nicht rauf«, sagte die Frau und nieste. »Das machen meine Füße wirklich nicht mehr mit.«
    Sie klappte ihre Handtasche auf und zog eine Packung Tempo hervor. Ich schlenderte näher und blickte prüfend in die Tasche. Zwischen allerhand gebrauchten

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