Tod im Tal der Heiden
unterhalb des hohen Gipfels dort, der als der höchste Berg unseres Landes gilt.«
Bruder Eadulf starrte empor zu dem kahlen Horn, das die anderen überragte.
»Tut es dir schon leid, daß du das Angebot deines Bruders, uns Krieger mitzugeben, abgelehnt hast?« fragte er schüchtern.
In Fidelmas Augen blitzte es einen Moment auf, doch dann wurde ihr klar, daß Eadulf es gut meinte, und sie schüttelte den Kopf.
»Was hat die ganze Reise für einen Sinn, wenn Kriegeruns beschützen müssen? Wenn wir unsere Lehren und unseren Glauben mit blankem Schwert verbreiten, dann müßten ja diese Lehren und unser Glaube es wohl nicht wert sein, daß man darüber spricht.«
»Manchmal sind die Menschen wie die Kinder und sitzen erst still und hören zu, wenn man sie dazu zwingt«, meinte der Angelsachse gelassen. »Man braucht einen Stock für Kinder und ein Schwert für Erwachsene. Das hilft ihnen, sich zu konzentrieren.«
»Da ist schon was dran«, gestand Fidelma. Dann fügte sie hinzu: »Ich kenne dich zu lange, Eadulf, als daß ich dir die Wahrheit verschweigen wollte. Ich hege tatsächlich Befürchtungen. Laisre regiert selbstherrlich. Nach Ehre und Pflicht ist er meinem Bruder in Cashel verantwortlich, aber Cashel ist für ihn sehr weit weg.«
»Es ist kaum zu glauben, daß es noch eine Gegend in diesem Land gibt, in der das Christentum unbekannt ist.«
Fidelma schüttelte den Kopf.
»Nicht eigentlich unbekannt; es ist bekannt, wird aber abgelehnt. Der Glaube erreichte diese Küsten erst vor knapp zweihundert Jahren, Eadulf. Es gibt immer noch viele abgelegene Gegenden, in denen der alte Glaube nur langsam abstirbt. Wir sind ein konservatives Volk und hängen an unseren alten Bräuchen und Vorstellungen. Du hast selbst an unseren kirchlichen Hochschulen studiert. Du weißt, wie viele noch an der alten Weise festhalten und an den alten Göttern und Göttinnen …«
Eadulf nickte nachdenklich. Erst vor einem Monat war er mit Fidelma nach Cashel zurückgekehrt, nachdem sie kurze Zeit im Tal von Araglin verbracht hatten. Dort hatten sie Gadra kennengelernt, einen Einsiedler, der fest bei der altenReligion geblieben war. Doch auch in vielen anderen Ländern war der Glaube noch jung. Eadulf selbst war erst im frühen Mannesalter bekehrt worden. Einst war er der erbliche
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oder Friedensrichter des Thans von Seaxmund’s Ham im Lande des Südvolks gewesen, bevor er sich einem Iren namens Fursa anschloß, der den heidnischen Sachsen das Wort Christi und die neue Religion brachte. Bald darauf hatte Eadulf den finsteren Göttern seiner Väter abgeschworen und war ein so guter Schüler geworden, daß Fursa ihn nach Irland an die großen kirchlichen Hochschulen von Durrow und Tuam Brecain entsandte.
Eadulf hatte schließlich den Weg nach Rom eingeschlagen und nicht den nach Iona. Bei der Teilnahme an der Debatte zwischen den Vertretern der römischen Liturgie und denen der Regeln Columbans, die in Whitby abgehalten wurde, hatte es sich zum erstenmal ergeben, daß Eadulf mit Fidelma zusammenarbeitete, die nicht nur Nonne war, sondern auch Anwältin bei den irischen Gerichten. Sie hatten mehrere Abenteuer gemeinsam bestanden. Jetzt war er wieder zurück in Irland als Sondergesandter des neuen Erzbischofs von Canterbury, Theodor von Tarsus, bei Fidelmas Bruder, König Colgú von Muman.
Eadulf wußte wohl, wie sehr die Menschen lieber an den alten Bräuchen und Vorstellungen hingen, statt sich dem Unerprobten und Unbekannten zu öffnen.
»Hat dieser Fürst Laisre, zu dem wir wollen, solche Angst vor dem neuen Glauben?« erkundigte er sich.
Fidelma zuckte die Achseln.
»Vielleicht ist es nicht Laisre, den wir fürchten müssen, sondern seine Ratgeber«, vermutete sie. »Laisre herrscht über sein Volk und respektiert Rang und Status. Er ist bereit,sich mit mir zu treffen und die Einrichtung einer ständigen Vertretung des Glaubens in seinem Gebiet zu besprechen. Das deutet auf eine offene Gesinnung hin.«
Sie hielt inne und dachte über die Ereignisse der vorigen Woche nach, über den Tag, an dem ihr Bruder Colgú von Cashel, der König von Muman, sie zu einem Gespräch in sein Privatzimmer gebeten hatte …
Es gab keinen Zweifel daran, daß Colgú von Cashel und Fidelma verwandt waren. Sie besaßen beide die gleiche hohe Gestalt, das gleiche rote Haar, die wandelbaren grünen Augen, die gleiche Gesichtsform und die gleichen unverwechselbaren Bewegungen.
Der junge König lächelte seine Schwester an, als sie das
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