Tod im Tal der Heiden
hatte nun ihre Verlegenheit überwunden und ihre Fassung wiedererlangt.
»Nun, ich habe jedenfalls keine Pläne, ins Königreich der Jüten zu reisen oder überhaupt in ein fremdes Land.«
»Dann wird vielleicht Bruder Eadulf seine Stellung in Canterbury aufgeben und sich bei uns niederlassen?«
»Ich bin nicht in der Lage, vorherzusagen, was Eadulf tun wird, Bruder«, antwortete Fidelma so gereizt, daß Colgú sie entwaffnend anlächelte.
»Du bist mir böse, weil ich so dreist frage, Schwester. Aber ich komme nicht aus bloßer Neugier auf dieses Thema. Ich möchte nur wissen, wie es dir geht und ob du vorhast, Muman zu verlassen.«
»Ich habe schon gesagt, daß ich das nicht beabsichtige.«
»Ich würde es dir nicht verübeln. Dein angelsächsischer Freund gefällt mir. Es ist gut mit ihm auszukommen, wenn er auch ein Sohn seines Volkes ist.«
Fidelma gab keine Antwort. Sie schwiegen eine Weile, Colgú streckte sich lässig in seinem Sessel aus; dann wurde seine Miene plötzlich besorgt.
»Ehrlich gesagt, Fidelma«, meinte er schließlich, »ich brauche deine Hilfe.«
Fidelmas Gesicht blieb ernst.
»So etwas habe ich erwartet. Um was handelt es sich?«
»Du hast das Geschick, Probleme zu lösen, Fidelma, und dieses Talent möchte ich mir wieder einmal zunutze machen.«
Fidelma neigte den Kopf.
»Mein Talent steht dir immer zur Verfügung, Colgú. Das weißt du doch.«
»Dann muß ich dir gestehen, daß ich dich mit einer ganz bestimmten Absicht hergebeten habe.«
»Daran hatte ich keinen Zweifel«, erwiderte sie ruhig. »Aber ich wußte, daß du das Thema auf deine Art anschneiden würdest.«
»Kennst du die Berge im Westen, die Cruacha Dubha genannt werden?«
»Ich bin noch nie dort gewesen, aber ich habe sie aus der Ferne gesehen und Geschichten über sie gehört.«
Colgú beugte sich vor.
»Hast du auch Geschichten über Laisre gehört?«
Fidelma runzelte die Stirn.
»Laisre, den Fürsten von Gleann Geis? Über ihn wurde neulich unter den Mönchen und Nonnen hier in Cashel geredet.«
»Was hast du gehört? Du kannst frei sprechen.«
»Daß sein Volk immer noch den alten Göttern und Göttinnen anhängt. Daß Fremde in seinem Land nicht willkommensind und daß die Brüder und Schwestern des Glaubens auf eigene Gefahr dorthin gehen.«
Colgú seufzte und senkte den Kopf.
»Da ist etwas Wahres dran. Doch die Zeiten ändern sich rasch, und Laisre ist anscheinend ein intelligenter Mann. Er sieht jetzt ein, daß er dem Fortschritt nicht ewig im Wege stehen kann.«
Fidelma war überrascht.
»Heißt das, daß er sich zum Glauben bekehrt hat?«
»Nicht ganz«, gestand Colgú. »Er hält immer noch verbissen an den alten Bräuchen fest. Doch er ist bereit, die Argumente beider Seiten offen abzuwägen. In seinem Volk gibt es aber noch viel Widerstand dagegen. Der erste Schritt wäre also zu verhandeln …«
»Zu verhandeln?«
»Laisre hat uns wissen lassen, daß er bereit ist, mit mir darüber zu verhandeln, daß er Glaubensleuten die Erlaubnis erteilt, auf seinem Gebiet eine Kirche und eine Schule zu errichten, die späterhin die alten heidnischen Kultstätten ersetzen sollen.«
»Der Ausdruck ›verhandeln‹ läßt darauf schließen, daß er etwas dafür haben will. Wie hoch ist sein Preis für die Erlaubnis, eine Kirche und eine Schule auf seinem Gebiet zu bauen?«
Colgú zuckte leicht mit den Schultern.
»Den Preis müssen wir ermitteln. Ich brauche jemanden, der sowohl für dieses Königreich als auch für die Kirche sprechen kann.«
Fidelma schaute ihren Bruder nachdenklich an.
»Willst du damit sagen, daß ich in die Cruacha Dubha gehen und mit Laisre verhandeln soll?« fragte sie überrascht.Sie hatte gedacht, Colgú wolle nur ihren Rat in dieser Sache hören.
»Wer ist geschickter im Verhandeln und wer kennt dieses Königreich und seine Bedürfnisse besser als du?«
»Aber …«
»Du kannst in meinem Namen sprechen, Fidelma, und auch im Namen von Bischof Ségdae. Finde heraus, was Laisre will, was er erwartet. Wenn die Bedingungen vernünftig sind, kannst du ihnen zustimmen. Sind sie unzumutbar, kannst du ihm erklären, der König und sein Rat müßten sie erst noch prüfen.«
Fidelma überlegte.
»Weiß Laisre, daß ich komme?«
»Ich wagte nicht, davon auszugehen, daß du zustimmst, Fidelma.« Colgú lächelte. »Er bat nur darum, daß ein Abgesandter des Glaubens zum Anfang der nächsten Woche in sein Gebiet kommen möge und daß er meines Ranges würdig wäre. Nimmst du
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