Tod in der Königsburg
schon, als wir Cashel verließen, nicht wahr?«
Fidelma hob verzweifelt die Augen zum Himmel. »Denkmal nach, Eadulf! Drei wichtige Dinge haben wir über diesen Bogenschützen herausgefunden. Zwei davon ziehen ernste Fragen nach sich, die wir beantworten müssen.«
»Du meinst, weshalb er in die Berge im Süden ritt?«
»Ja, das muß festgestellt werden. Aber was noch?«
Eadulf schlug sich vor die Stirn. »Natürlich! Wo ist die kastanienbraune Stute geblieben? Er hatte kein Pferd bei sich, als er getötet wurde.«
Fidelma lächelte und unterdrückte einen Seufzer. »Du bist der eigenartigste Mensch, den ich kenne. Manchmal weist du auf das Naheliegendste hin, das alle übersehen haben. Dann wieder übersiehst du das Naheliegendste. Ja, ich meine die Stute des Bogenschützen. Wo ist sie? Anscheinend wartete irgendwo ein dritter Komplize mit den Pferden der beiden Attentäter. Dieser Komplize ritt weg und versteckte die Pferde, sobald er wußte, daß Gionga den Bogenschützen und seinen Freund getötet hatte.«
»Was bedeutet, daß sich der dritte Attentäter noch in Cashel aufhält?«
»Vielleicht noch mehrere. Bisher wissen wir nicht, wie viele Personen an dem Anschlag beteiligt waren. Was haben wir noch erfahren?« drängte ihn Fidelma.
Eadulf dachte scharf nach, ihm fiel aber nichts ein.
»Der Bogenschütze und sein Freund hatten kaum Geld bei sich, als sie getötet wurden. Cred sagte uns, daß der Bogenschütze genug Geld besaß. Wo verbarg er es?«
Eadulf preßte die Lippen zusammen und ärgerte sich, daß er nicht selbst darauf gekommen war. »Noch eine Frage«, sagte er. »Auf was warten wir hier?«
Fidelma lächelte geheimnisvoll und lugte um die Hausecke. »Die Antwort darauf ist schon unterwegs.«
In diesem Moment kam einer der Kutscher aus Creds Herberge, der aus Cashel, der Fidelma erkannt hatte, eilig die Straße entlang und sah sich suchend um.
»Man kann mit den Augen ebensogut etwas mitteilen wie mit Mund und Händen«, flüsterte Fidelma Eadulf zu.
Als der Kutscher auf gleicher Höhe mit ihnen war, hüstelte Fidelma. Er warf ihnen einen erschrockenen Blick zu, ließ sich auf ein Knie nieder und begann an seinem Schuh zu nesteln.
»Tut so, als ob ihr nicht mit mir sprecht«, flüsterte er ihnen zu, den Blick auf den Boden gerichtet. »Es gibt überall Augen und Ohren.«
»Was willst du von uns«, fragte Fidelma abgewandt, als spräche sie mit Eadulf.
»Darüber kann ich hier nicht reden. Kennt ihr den Brunnen von Gurteen, in dem kleinen bestellten Feld?«
»Nein.«
»Er befindet sich eine knappe Meile nordöstlich von hier. Ihr nehmt den Pfad zum Eibenwald und kommt an ein Feld mit einer Trockenmauer. Der Brunnen ist gleich dahinter. Ihr könnt ihn nicht verfehlen.«
»Wir werden ihn finden.«
»Seid bei Anbruch der Dunkelheit dort, dann können wir reden. Sagt keinem was davon. Es ist gefährlich für uns alle.«
Dann stand der Kutscher wieder auf und ging weiter, als habe er nur etwas an seinem Schuh in Ordnung gebracht.
Eadulf wechselte einen Blick mit Fidelma.
»Eine Falle?« vermutete er.
»Warum sollte uns der Kutscher in eine Falle locken wollen?«
»Er und seine Freunde denken vielleicht, wir wüßten mehr, als wir in Wirklichkeit wissen«, meinte Eadulf.
Fidelma dachte eine Weile nach. »Nein, das glaube ich nicht. Seine Furcht, beobachtet zu werden, als er mit uns sprach, war echt.«
»Na, ich halte es für gefährlich, dorthin zu gehen, noch dazu in der Dunkelheit. Es ist eine Falle für einen Fuchs.«
Fidelma schmunzelte. »Der Fuchs hatte nie einen besseren Boten als mich«, antwortete sie.
Eadulf stöhnte, als er diese weitere Redensart von Fidelma zu hören bekam.
»Habt ihr in eurem Land nicht auch den Spruch: Zeige nie die Zähne, bevor du auch beißen kannst?« fragte er spöttisch.
Fidelma kicherte. »Gut gesagt, Eadulf. Du lernst schnell. Aber heute abend sind wir am Brunnen von Gurteen.«
KAPITEL 11
Die Dunkelheit brach herein, als Fidelma und Eadulf die Abtei verließen. Sie achteten darauf, daß niemand sie sah, und folgten dann der Beschreibung des Weges zum Brunnen von Gurteen, die Samradáns Kutscher ihnen gegeben hatte. Der Tag war warm gewesen, die anbrechende Nacht aber versprach kalt zu werden, und ein schwacher Bodennebel stieg bereits von den Feldern auf. Er bewegte sich nicht, denn es ging kein Wind, nicht einmal eine Abendbrise ließ die Blätter der Bäume und Büsche rascheln.
Sie hatten beschlossen, lieber zu Fuß dorthin zu gehen
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