Kein Entkommen
Prolog
»Ich habe Angst«, sagte Ethan.
»Ach was«, sagte ich. »Dafür gibt’s nicht den geringsten Grund.« Ich wandte mich vom Steuer ab und streckte den Arm nach hinten, um ihn aus dem Kindersitz zu befreien. Ich griff unter der Halterung durch, auf der seine Arme lagen, und löste den Verschluss der Gurte.
»Ich will nicht damit fahren«, sagte er mit Blick auf das Riesenrad und die fünf Achterbahnen, die wie Berge aus Röhren hinter dem Eingang des Vergnügungsparks aufragten.
»Tun wir auch nicht«, erinnerte ich ihn zum x-ten Mal. Allmählich begann ich mich zu fragen, ob der kleine Ausflug tatsächlich eine so gute Idee gewesen war. Am Abend zuvor waren Jan und ich vom Lake George zurückgekommen und hatten Ethan bei meinen Eltern abgeholt. Er war schon ganz aufgeregt gewesen; einerseits hatte er sich riesig gefreut, sich andererseits aber Sorgen gemacht, dass die Achterbahn am höchsten Punkt entgleisen könnte. Nachdem ich ihn ins Bett gebracht hatte, war ich neben Jan unter die Decke geschlüpft.
Eigentlich hatte ich sie noch fragen wollen, ob ich wirklich mit Ethan in den Five-Mountains-Park fahren sollte, doch sie schlief bereits oder tat zumindest so.
Und am nächsten Morgen war Ethan Feuer und Flamme für unseren Ausflug. Alle Achterbahn-Ängste waren verflogen. Beim Frühstück löcherte er mich, wie Achterbahnen funktionieren würden, warum sie keine Lokomotive hätten, irgendeinen motorisierten Wagen, der vorneweg fuhr. Wie kamen sie die Steigungen überhaupt hinauf?
Erst als wir kurz nach elf auf den fast vollen Parkplatz fuhren, gewannen seine Ängste wieder die Oberhand.
»Keine Sorge, wir fahren nur mit den kleineren Karussells«, sagte ich. »In die großen lassen sie dich sowieso nicht. Immerhin bist du gerade mal vier Jahre alt. Um mit der Achterbahn fahren zu dürfen, musst du acht oder neun sein. Ungefähr so groß.« Ich hielt die Hand knapp anderthalb Meter über den Asphalt.
Misstrauisch beäugte er meine Hand. Wahrscheinlich war es nicht allein die Vorstellung, mit einer der monströsen Achterbahnen zu fahren, die ihn beunruhigte. Das laute Rattern, das zu uns herüberdrang, klang sogar in meinen Ohren beängstigend.
»Mach dir keine Gedanken«, beschwichtigte ich. »Ich passe schon auf, dass dir nichts passiert.«
Ethan sah mir in die Augen, gelangte offensichtlich zu dem Schluss, dass ich vertrauenswürdig war, und erlaubte mir, den Sicherheitsbügel über seinen Kopf zu heben. Als er sich aus dem Kindersitz kämpfte, streiften die Gurte sein feines blondes Haar. Ich fasste ihn unter den Armen, doch er wand sich aus meinem Griff. »Kann ich allein«, sagte er, hievte sich aus dem Sitz und sprang aus der offenen Wagentür.
Jan nahm den Kinderbuggy aus dem Kofferraum und klappte ihn auseinander. Ethan versuchte sich hineinzusetzen, noch bevor sie ganz damit fertig war.
»Moment mal«, sagte Jan.
Ethan hielt inne und wartete, bis er das Klicken der Raste hörte, dann ließ er sich in den Buggy fallen. Jan beugte sich erneut über den Kofferraum.
»Warte«, sagte ich und nahm den Rucksack.
Jan öffnete eine kleine Leinentasche, bei der es sich in Wahrheit jedoch um eine Kühlbox mit Stoffverkleidung handelte und die ein Eispäckchen und ein halbes Dutzend Packungen Fruchtdrinks nebst in Plastik eingeschweißten Strohhalmen enthielt. Sie reichte mir eine der Safttüten. »Ethan hat bestimmt Durst.«
Ich nahm den Fruchtsaft entgegen. Jan schloss den Kofferraum, zog den Reißverschluss der Kühltasche wieder zu und verstaute sie im Buggy, während ich den Strohhalm von der klebrigen Tüte fummelte. Offenbar war eine der anderen Safttüten in der Kühltasche ausgelaufen. Ich zog den Strohhalm aus der Verpackung und steckte ihn in die Öffnung.
»Nicht drücken«, sagte ich zu Ethan. »Sonst spritzt du dich mit Saft voll.«
»Weiß ich«, sagte er.
Jan berührte mich am Arm. Es war ein warmer Samstag im August. Wir trugen beide Shorts, kurzärmlige T-Shirts und bequeme Sportschuhe; schließlich würden wir bestimmt einige Meilen durch den Park laufen. Jan trug eine Schirmmütze über den dunklen Haaren, die sie zum Pferdeschwanz gebunden und durch die Mütze gezogen hatte, und eine überdimensionale Sonnenbrille.
»Hey«, sagte sie.
»Hey«, erwiderte ich.
Sie zog mich zu sich hinter den Buggy, so dass Ethan uns nicht sehen konnte. »Alles okay?«, fragte sie.
Irritiert sah ich sie an. Dieselbe Frage hatte mir auf den Lippen gelegen. »Ja, alles klar.«
»Obwohl es
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