Tod in Innsbruck
Bett, das unwahrscheinlich groß aussah, im Verhältnis zu dem schmächtigen Körper, den es beherbergte. Ein Tisch mit einer brennenden Kerze. Und dieser medizinische Geruch, der Heilung versprach, aber einen bitteren Nachgeschmack hinterließ, nach Siechtum, Tod.
»Setzen Sie sich, Frau Meyring, nehmen Sie sich Zeit. Die meisten Menschen finden Trost hier«, raunte die Krankenschwester ihr zu. Sie schob Vera einen Stuhl hin und legte ihr die Hand auf die Schulter. Eine kräftige, gerötete Hand. Dann ging sie hinaus, ließ Vera allein in dieser Abstellkammer, die Verabschiedungszimmer hieß.
Stille stand wie ein Vorwurf im Raum.
Vera trat näher an das Bett heran. Der Tod hatte seine wächserne Maske über Isas Antlitz gestülpt und ihre Haut mit einem Gelbstich belegt, der die Schar der Sommersprossen überdeckte, als hätte es sie nie gegeben. Auch die rote Lockenmähne hatte er gebändigt, was bisher niemandem gelungen war. Der brennende Busch war zu Asche geworden, schlaff und leblos lagen die Strähnen auf dem Kissen.
Warum? Warum ausgerechnet Isa? Sie war doch erst sechzehn!
Veras Blick streifte das hölzerne Kreuz an der Wand. Sie fragte sich, wie Menschen an einen Gott glauben konnten, der offenbar keinerlei Interesse für seine Schöpfung aufbrachte. Der es zuließ, dass Kriegsverbrecher und Diktatoren in hohem Alter sanft entschliefen, während Kinder verhungerten, von Plastiksprengstoff zerrissen wurden oder an Aids und Krebs krepierten. Als sie klein war, hatte sie sich Gott wie einen schlohweißen Dirigenten vorgestellt, der weise und umsichtig das Zusammenspiel der Menschheit leitete. Bis sie erkannt hatte, dass er bisweilen mit seinem Stab auf ahnungslose Musiker dieses unfreiwilligen Orchesters zeigte: Gustav Müller – Lungenkrebs. Isabel Meyring – Herzstillstand.
Von so einem Gott wollte Vera nichts wissen. Die einzige Entschuldigung, die es für ihn gab, war seine Nichtexistenz.
Energisch straffte sie ihren Rücken.
Sie glaubte weder an göttliche Fügung noch an schicksalhafte Vorbestimmung. Menschen trafen Entscheidungen, Menschen machten Fehler. Und wenn eine vollkommen gesunde junge Frau plötzlich starb, musste jemand einen Fehler gemacht haben.
Sie legte ihre Hand an Isas kühle Wange. »Ich werde den Schuldigen finden, das verspreche ich dir.«
Ruckartig wandte sie sich ab und stürzte hinaus.
Die Krankenschwester, die im Korridor auf sie gewartet hatte, zuckte zusammen. Dann drückte sie Vera wortlos einen Plastikbeutel in die Hand. Er enthielt Isas Badeanzug, ein Paar Flipflops, ein Handtuch, einen Schließfachschlüssel.
Ist das wirklich alles? Ein feuchter Händedruck und ihre Sachen in Plastik verschweißt?
»Wer hat meine Schwester reanimiert? Wer ist verantwortlich?«, fragte Vera mit einem Zischen in der Stimme.
Die Krankenschwester wich einen Schritt zurück. »Dr. Eberharter, glaube ich. Er ist stellvertretender Leiter der traumatologischen Intensivstation. Ein sehr guter Anästhesist und ab und zu als Notarzt im Einsatz.«
»Wo finde ich ihn?«
»Fahren Sie mit dem Patientenaufzug in den zweiten Stock und fragen Sie eine der Schwestern nach ihm.«
Vera klemmte den Plastikbeutel unter den Arm und machte sich auf den Weg. Ihr Zorn musste ein Ventil finden, in die Gehörgänge eines Verantwortlichen abgelassen werden, ehe sie platzte. Sie brauchte Antworten. Und sie würde keine Ruhe geben, bis sie alle Auskünfte erhalten hatte.
* * *
»Wie bitte?« Das Klappern von Absätzen hatte Robert abgelenkt, und so war ihm Pauls Frage entgangen. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, dass jemand den Korridor betreten hatte und sich einer Schwester zuwandte, die auf Paul und ihn zeigte. Dann rollte die dunkle Gestalt heran wie eine Flutwelle. Ihrem schnörkellosen Gang zufolge hätte Robert sie für einen Mann gehalten. Doch die Schuhe – giftgrüne High Heels – überzeugten ihn vom Gegenteil. Es war eine Frau, hochgewachsen, mit zerzausten Haaren, als wäre sie gegen den Wind gerannt.
Paul wedelte mit einem Reiseprospekt vor seiner Nase. Ein Sandstrand, Palmen, knallblaues Meer, sonnengebräunte Badende. »Was du von Teneriffa hältst, habe ich ge…« Er schrak hoch, als die Frau direkt vor ihm stehen blieb. Der Prospekt fiel zu Boden.
Sie bückte sich, hob ihn auf und behielt ihn in ihren Händen. Hände, die eher nach kräftigem Zupacken aussahen als nach Häkeln oder Harfenspiel.
Abschätzend musterte sie Paul, ehe sie die eisblauen Augen auf Robert
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