Tod in Innsbruck
heftete.
Sein Herz setzte einen Schlag aus, als sie zu sprechen begann. Einmal, weil sie sich als Vera Meyring vorstellte und ihm klar wurde, dass sie die Schwester des verstorbenen Mädchens sein musste, von dem Paul ihm erzählt hatte. Hauptsächlich aber wegen ihrer Stimme, die tief war wie ein lichtloser Schacht und rau, als wären ihre Stimmbänder aus Glasscherben zusammengeklebt.
Robert hob abwehrend die Hände. »Sie verwechseln mich. Mein Name ist Dr. Nemetz. Wenn Sie mit Dr. Eberharter sprechen wollen, wenden Sie sich bitte an den Herrn neben mir.« Er nahm ihr sachte die Reisebroschüre aus der Hand und steckte sie seinem Freund zu. Paul erblasste, als Vera Meyrings Blick zu ihm schwenkte. Dann schien er sich zu fassen und führte sie zum Ausgang.
Robert spürte Erleichterung, dass nicht er das Ziel ihres sprühenden Zorns war, aber auch einen Stich Enttäuschung, ein Gefühl, das er nicht einordnen konnte.
Während sie sich entfernte, vernahm er noch einmal ihre Stimme. Was sie sagte, verstand er nicht. Er wusste nur, dass es nach Blues und Gänsehaut klang. Und nach Gefahr im Verzug.
* * *
Ihre Hände waren eiskalt. Sie ballte sie zu Fäusten und grub die Fingernägel in die Handflächen.
»Was haben Sie mit meiner Schwester gemacht?«, fragte Vera zum zweiten Mal und konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme bebte.
Dr. Eberharter starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an, als käme sie von einem fremden Planeten. Er schwieg, Vera kam es wie eine Ewigkeit vor.
»Ich möchte Ihnen mein Beileid aussprechen, Frau Meyring«, sagte er endlich mit ruhiger, beinahe tonloser Stimme. Dann führte er Vera in das kleine Lokal im Erdgeschoss. »Café-Pizzeria Chirurgie«. Er forderte sie auf, an einem Tisch in einer ruhigen Ecke Platz zu nehmen. Zögernd setzte sie sich. Sie wollte nichts trinken, aber der Doktor winkte dem Kellner und bestellte zwei Tassen Cappuccino.
»Was ist passiert?«, fragte Vera. »Isabel war kerngesund.«
»Ihre Schwester hatte einen Herzstillstand. Vorübergehend konnten wir sie zurückholen, doch letztendlich haben wir sie verloren. Es tut mir sehr leid.« Dr. Eberharter schlug die Augen nieder.
Vera ertappte sich dabei, seine überlangen Wimpern attraktiv zu finden, und ärgerte sich über den Gedanken. »Wie lange haben Sie meine Schwester reanimiert? Welche Maßnahmen haben Sie gesetzt?« Ihre Stimme durchschnitt die Luft, die zwischen ihnen stand.
»Sind Sie Medizinstudentin?«
»Ich glaube, Sie haben Mist gebaut, Herr Doktor. Und ich werde Sie dafür verklagen.«
Der Kellner, der die Cappuccini brachte, zuckte zusammen, als hätten Veras harsche Worte ihm gegolten.
»Ich verstehe, dass Sie außer sich sind. Wütend. Es ist eine Wut, die einen hilflos macht. Ich würde an Ihrer Stelle genauso reagieren.«
»Erklären Sie mir nicht meine Reaktion. Erklären Sie mir, was geschehen ist.«
»Ihre Schwester war heute Morgen im Amraser Schwimmbad.«
»Da ist sie jeden Mittwoch hingegangen, weil sie später Schule hatte. Sie war eine ausgezeichnete Schwimmerin.«
»Der Bademeister hat beobachtet, dass sie fast eine Stunde lang ohne Unterbrechung ihre Bahnen geschwommen ist. Dann bekam sie plötzlich Probleme und ging unter. Zum Glück hat er es gesehen und sie sofort herausgezogen. Er hat einen Notruf abgesetzt. Während er auf unser Eintreffen wartete, führte er Beatmung und Herzmassage durch.« Die aufs Feinste manikürten Hände des Arztes waren in ständiger Bewegung. »Wir, das heißt zwei Rettungssanitäter und ich, sind zwölf Minuten nach dem Notruf eingetroffen und haben die Wiederbelebung fortgesetzt. Ich konnte zum Übernahmezeitpunkt keinerlei Herzaktivität feststellen. Nach zehnminütiger kardiopulmonaler Reanimation haben wir den Defibrillator eingesetzt und schließlich einen stabilen Herzrhythmus erreicht. Wir haben Ihre Schwester auf die Intensivstation gebracht.« Dr. Eberharter senkte die Stimme. »Doch dann hat sich ihr Zustand leider rapide verschlechtert, und der Kreislauf ist zusammengebrochen. Meine Kollegen und ich haben alles versucht. Über eine Stunde lang haben wir um Ihre Schwester gekämpft und das Menschenmögliche getan.«
»Das glaube ich nicht.«
»Sie können jederzeit das Notarztprotokoll und die ärztlichen Aufzeichnungen aus der Intensivstation einsehen.«
»Ihnen muss ein Fehler unterlaufen sein.« Vera hatte so laut gesprochen, dass einige andere Gäste sich zu ihr umdrehten und sie anstarrten.
»Einen Fehler gab
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