Tod Live
Es geht dir ja immer besser, wenn du bei ihm gewesen bist.«
»Was nur heißen kann, daß eigentlich nie was mit mir los war.«
»Nichts Physisches, Katherine. Das wissen wir.«
Wie zum Beweis seiner Worte spürte Katherine den Beginn eines Schwindelanfalls und die vertraute Enge im Kopf. Eigentlich kein Kopfschmerz, mehr ein Gefühl der Anspannung, als schrumpfe ihre Kopfhaut. Wie sie Menschen haßte, die nur an ihre Gesundheit dachten und andauernd davon sprachen!
»Vielleicht hat der Computer doch etwas herausgefunden«, sagte sie.
Er trocknete sich die Hände ab. »Wäre dir das lieber? Physische Dinge sind heutzutage so schnell zu beheben.« Er wischte sich sorgsam die Hände trocken, wie immer. Dann warf er bedächtig das Handtuch fort. »Schach?« fragte er. »Aber ich kann auch weiter an meinem Modell arbeiten, wenn du keine Lust hast.«
»Ich habe mir Fahnenabzüge mitgebracht.«
»Du wirst nur dasitzen und auf düstere Gedanken kommen.«
»Barbara braucht sie am Freitag.«
»Komm mit nach unten in den Hobbyraum.«
»Ich nehme eine meiner Kapseln und arbeite im Bett.«
Er war schon auf dem Wege zur Tür. »Nimm zwei!« sagte er über die Schulter.
Sie lehnte sich an den Küchentisch. »Mein Termin ist um halb elf«, rief sie ihm nach. »Ich rufe dich hinterher gleich an. Mittwoch, halb elf. An dem Tag, wo ich zum Friseur gehen will.«
Er kehrte um und lächelte, küßte ihre Stirn und ging weiter.
Sie hatte Harry in einer Kabine des Lizenzbüros kennengelernt. Er war ein grünes Formular und ein Stift und ein erforderlicher Stempel. Für ihre Ehe mit Gerald war die zweite Fünfjahreserneuerung fällig, und er erneuerte nicht. Ihr stand keine Einrede zu – selbst wenn sie gewollt hätte –, denn es gab keine Kinder, und sie war selbst in Gehaltsstufe I. Gerald hatte ihr die Nichterneuerung nicht angekündigt. Die offizielle Benachrichtigung lag eines Morgens im Fach, als sie zum Amt ging, um ihre Post abzuholen, zusammen mit dem Formular, das sie unterschreiben mußte. Und am Abend kehrte er nach der Arbeit nicht in die Wohnung zurück. Er ließ sich überhaupt nicht mehr sehen, sondern schickte einen Freund vorbei, der seine Sachen abholen sollte. Der Freund erzählte ihr überflüssigerweise, daß Gerald nicht länger mit einem Menschen zusammenleben könne, den er als Panzerkreuzer bezeichnete. Sie war weniger schockiert als erstaunt.
Harry hatte ihr geholfen, den einfachen Vordruck auszufüllen, und – was wichtiger war – er hatte mit ihr dieses Erstaunen geteilt. Er war ein viel zu gradliniger Mensch, als daß er geahnt hätte, wie sehr ihre Empfindung die Maske für etwas ganz anderes war. Nur um etwas zu sagen oder sie vielleicht auch zu trösten, erwähnte er beiläufig, daß es ihm genauso ergangen war. Eine Nichterneuerung der zweiten Option… Natürlich war es schwieriger für sie, schwieriger für die Frau – das wußten alle. Aber er hatte gehört, daß seine Ex-Frau recht gut zurechtkam. Natürlich waren die Fälle nicht zu vergleichen, da die Nichterneuerung von ihr und nicht von ihm ausgegangen war.
Zuerst hatte Katherine die ganze Geschichte für die Beruhigungstherapie eines Sozialfürsorgers gehalten. Aber dann wäre der Name der Ex-Frau dem Erzähler leichter über die Lippen gekommen: ihn auszusprechen wäre nicht jetzt noch, Monate nach der Nichterneuerung, schmerzhaft gewesen. Dies schien auf ein treues Herz hinzudeuten. Außerdem war der Mann hinter dem Schreibtisch offenkundig kein Sozialfürsorger. Er war offensichtlich allein. Und keineswegs raffiniert.
Sie überlegte, daß er bei seiner täglichen Arbeit mit Dutzenden von Frauen in ihrer Lage zu tun hatte. Deshalb ließ sie sich seine ungewöhnlichen Bemühungen, ihr zu schmeicheln, gefallen. Außerdem ließ sie sich von ihm ausführen, um andere Leute, andere Neue Ledige kennenzulernen. Sie gingen zusammen zu Partys und Vorträgen und nahmen an Kultur-Austauschreisen teil. Sie fanden ein gemeinsames Interesse – das Schachspiel; er war Anhänger Moldenews, sie folgte Fu Tsong. So saßen sie während ihrer Zusammenkünfte häufig in einer Ecke und spielten und hielten es bald für dumm, daß sie hinterher in getrennte Betten zurückkehrten.
Es kam nie zu einem formellen Heiratsantrag – von keiner Seite. Beide waren über vierzig und hatten eine Nichterneuerung nach dem fünften Jahr durchgemacht. Er war beeindruckt von ihrer Arbeit – damals vervollständigte sie gerade Barbaras Satzgedächtnis –, und
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