Tod On The Rocks
Garderobe.
In den fünf Jahren, die er im Knast verbracht hatte, hatte Eben Zeit gehabt, darüber nachzudenken, dass er seit seinem sechzehnten Lebensjahr Schmuck gestohlen hatte. Er tr ö stete sich mit dem Gedanken, dass fast niemand sonst in seiner Branche auf drei ß ig harmonische und ertragreiche Berufsjahre zur ü ckblicken konnte.
Jedoch hatten die fünf Jahre als Gast des New York State Gefängnisses Eben ein für allemal davon abgebracht, einen erneuten Aufenthalt in jener Anstalt zu riskieren. Als man ihm einen mageren Scheck, einen schlechtsitzenden Anzug und die Adresse seines Bewährungshelfers in die Hand drückte, empfand er eine Sekunde lang ein wenig Wehmut, weil er die Freunde, die er hinter Gittern kennengelemt hatte, zurücklassen musste. Sie hatten sogar an dem Abend, bevor er entlassen wurde, im Fernsehraum eine Art Party f ü r ihn gegeben. Die Frau eines Freundes hatte eine Torte aus sieben verschiedenen Schichten gebacken und, in Anerkennung seiner besonderen Geschicklichkeit, in jeder Schicht verschiedene kleine Spielzeuguhren aus Plastik versteckt. Während Eben an einem harten Brocken würgte, der in seiner Kehle festsa ß , stimmten alle im Fernsehraum anwesenden Gefangenen » Auld Lang Syne « und dann » For He’s a Jolly Good Fellow« an. Eben hatte mit Tränen in den Augen gesagt: »Ihr seid die einzige Familie, die ich jemals hatte. Aber trotzdem möchte ich lieber nicht zurückkommen.«
In seiner Zeit als Dieb hatte Eben sich einen beachtlichen Luxus gegönnt. Vor allem hatte er eine Vorliebe dafür gehabt, hübsche Häuser zu mieten. In der Zeit nach dem Gefängnis wurde ihm klar, dass er sich mit ehrlicher Arbeit solchen Luxus niemals w ü rde verschaffen k ö nnen. W ä hrend er ein Exemplar des Architectural Digest durchblätterte, wurde er immer schwermütiger, aber dann kam ihm plötzlich der rettende Gedanke. Jedes der Herrenhäuser, die dort abgebildet waren, hatte doch wahrscheinlich einen Hausverwalter. Nierenförmige Swimmingpools mit ihren ganz privaten Wasserfällen mussten gepflegt, samtige Rasen geharkt, lange, gewundene Auffahrten im Winter von Schnee befreit werden, damit Luxuslimousinen über sie hinwegrollen konnten.
Eben war, nachdem er die Alarmanlage au ß er Funktion gesetzt hatte, viele Male durch ein solches Herrenhaus geschlichen, während der Hausverwalter in seiner Wohnung über der Garage sa ß , sein Bier trank und im Fernsehen Schlammringk ä mpfe anschaute. Und so sagte sich Eben, dass die einzige M ö glichkeit, einem Leben in Luxus noch einmal nahezukommen, darin bestand, selbst Hausverwalter zu werden. Natürlich, der altmodische Weg wäre gewesen, in eine reiche Familie einzuheiraten, aber bis jetzt hatte er noch keine Kandidatinnen gefunden.
Dass er v ö llig unbedeutend aussah, war, als er noch ein Leben au ß erhalb des Gesetzes geführt hatte, ausgesprochen vorteilhaft gewesen. Seine äu ß ere Erscheinung - mittlere Statur, d ü nnes aschblondes Haar, braune Augen und ein Durchschnittsgesicht - war f ü r die Polizeizeichner ein Alptraum. Eine Brille mit Horngestell oder randlos, gefärbte Kontaktlinsen, in verschiedenen Schattierungen getöntes Haar waren Teil seiner Verkleidungen gewesen und hatten ihn in die Lage versetzt, der Polizei lange Zeit ein Schnippchen zu schlagen. Inzwischen hatte er ein paar Kilo zugelegt, auf die er nicht gerade stolz war, aber wenigstens brauchte er sich jetzt keine Sorgen mehr darüber zu machen, wie er sie verstecken sollte.
Früher, in der achten Klasse, hatte er den Laienspielgruppenpreis gewonnen, nachdem er den dritten Weisen in der Weihnachtsaufführung der Schule dargestellt hatte; danach hatte er den Gauner in Oliver Twist gespielt. Der übereifrige Schulleiter hätte niemals diesen Zauberer namens Schlüpfrige Finger engagieren sollen, damit er mir diese Tricks beibringt, hatte Eben seither häufig gedacht. Es war ihm einfach zu leicht gemacht worden, reiche Frauen von der Last ihrer Juwelen zu befreien. Nach seiner Festnahme war die einzige Gelegenheit, bei der Eben seine schauspielerischen Talente unter Beweis stellen konnte, die alljährliche Weihnachtsparty gewesen, wo er für die Kinder der Insassen den Santa Claus spielte.
Was mich genau zu diesem Punkt meines Lebens geführt hat, dachte Eben, während er von seiner Gondel hinunterblickte. Die Hänge, die noch vor kurzer Zeit mit Skiläufern gesprenkelt gewesen waren, waren jetzt fast leer. Die Wolken, die sich erst vor ein paar
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