Todeseis
fasste sie ans Kinn. »Sieh mich an! Ich liege hier sehr bequem und entspannt, und kein schlechtes Gewissen verfolgt mich. Nimm dir an mir ein Beispiel! Ja, ich glaube, ich bleibe die ganze Nacht bei dir.«
»Tu es nicht«, sagte sie und blickte ihm fest in die Augen. »Du kannst morgen wiederkommen. Ich muss noch meine Sachen zusammenpacken.«
Er setzte sich ganz hoch und ergriff ihren Arm so fest, dass es schmerzte. »Dass du eines gleich begreifst«, sagte er scharf. »Die Termine mache ich! Du hast dich nach mir zu richten und nicht umgekehrt. Hast du das begriffen?« Als sie nichts sagte, schlug er ihr mit der anderen Hand ins Gesicht. »He? Bist du taub? Antworte!«
Sie nickte. »Ja, ich hab’s verstanden.«
Er betrachtete sie misstrauisch. »Planst du etwas?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich musste nur an deine Frau denken. Sie hat es nicht verdient, von dir vernachlässigt zu werden. Ich kenne sie zwar nicht, aber ich bin nun einmal selbst eine Frau, und wie ich hörte, ist sie sehr schön.«
Er ließ sie los und sank in sein Kissen zurück.
»Sie ist schön, ja, aber sie ist älter als du«, sagte er, »und im Gegensatz zu dir hat sie nur noch geringes Interesse an Sex.« Er machte eine unwillige Handbewegung. »Aber das geht dich nichts an! Du weißt, in welcher Welt du lebst! Du hast zwei Möglichkeiten! Entweder du bist auf meiner Seite – oder du bist es nicht. Bist du auf meiner Seite, gehörst du zu uns – und genießt alle Vorteile, die damit verbunden sind. Bist du es nicht, stellst du für uns eine gefährliche Zeugin dar! Und du weißt, was mit gefährlichen Zeugen passiert.« Er sah sie konzentriert an, und sie erwiderte schweigend seinen Blick. »Erinnerst du dich an das Mädchen, das man letzten Sommer aus der Themse fischte?«, fragte er nach einer Weile. Sie sagte noch immer nichts. »Nun«, sagte er, ohne weiter in sie zu dringen; »sie war sehr hübsch, und sie war nackt, und weißt du, was sie noch war?« Sie blieb still. »Weißt du es?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Sie war an den Hand- und Fußgelenken gefesselt. Weißt du, was das bedeutet?«
»Hältst du mich für blöd?«
»Sag, was es bedeutet!«
»Dass sie gelebt hat, als man sie ins Wasser warf.«
Sie sah ihn nicht an, merkte aber, dass er zufrieden lächelte.
»Weißt du auch, weshalb sie dieses Schicksal erleiden musste?«
Gladys hatte bis jetzt nichts von der Sache gehört, aber sie konnte nicht ausschließen, dass die Geschichte stimmte.
»Wahrscheinlich hat sie ihren Beschützer mit dem Messer attackiert«, sagte sie.
Er antwortete nicht sofort, als hätte ihre Bemerkung ihn überrascht.
»Nein, sie hat nur gedacht, sie könne nach eigenem Gutdünken die Seiten wechseln und selbst darüber entscheiden, mit wem sie ins Bett steigt und mit wem nicht. Eine Frau hat sich unterzuordnen, aber einige von euch scheinen das nicht mehr zu wissen. Oft sind es gerade die Schönen, die eine verräterische Gesinnung antreibt. Wir mussten an ihr ein Exempel statuieren, damit andere gewarnt wurden. Von Zeit zu Zeit muss man so etwas tun.«
Wir, dachte sie, war er etwa dabei gewesen?
»Sie hat gebettelt und gefleht, das hübsche nackte Ding«, fuhr er fort, »jedenfalls, als wir sie gefesselt haben; denn da begriff sie erst, was mit ihr geschehen sollte.«
»Ihr musstet sie auch noch quälen«, sagte sie, »ja, ihr seid schon harte Kerle.«
Wahrscheinlich würde er sie erneut schlagen, dachte sie, aber aus irgendeinem Grunde hielt er sich zurück.
»Der Fluss ist unsere Lebensader und nährt auch unser Geschäft«, sagte er schließlich, »und manchmal braucht die Themse ein Opfer. Welche Opfer hat die Themse am liebsten? Die Themse ist ein Mann, wie man sagt; Vater Themse, wie man ihn liebevoll nennt. Am liebsten hat Vater Themse schöne junge Frauen, die man ihm nackt übergibt. So haben wir ihn unseren Geschäften gewogen gestimmt.«
Seine Grausamkeit widerte sie an. Phil war alles andere als ein Heiliger gewesen, aber ein gewisses Format hatte er besessen. Zu einem solchen Frevel hätte er sich zur Bemäntelung der eigenen Feigheit niemals verstiegen.
»Es erging dem Mädchen wie Phil«, fügte Jago hinzu. »Jemand gab ihr am Ende den Gnadenschuss, damit sie nicht länger litt.« Er blickte sie an. »Wir haben uns verstanden, Gladys, nicht wahr? Du weißt, wer vom heutigen Tage an dein Beschützer ist?«
»Ja!«, antwortete sie knapp, so unmissverständlich und laut, wie er es gerne hörte.
»Es freut mich
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