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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Prolog
    An dem Abend, an dem die Frau geboren wurde, die von ihrem Volk sowohl bewundert als auch gehasst, von Propheten bekämpft und in den Schriften verachtet wurde und die ihrem Land eine letzte, kurze Blüte inmitten des Zerfalls bescherte, empfing König Herodes eine für ihn wichtige und höchst erfreuliche Botschaft.
     
    »Die Kinder sind tot.«
    »Alle?«
    Der Offizier zögerte einen Moment, die Antwort kam ihm nur schwer über die Lippen. Doch ein Blick seines Königs ließ ihn die Sprache schnell wiederfinden. Er schluckte. »Alle.«
    Stille breitete sich im Großen Saal der Festung Masada aus. Niemand von der königlichen Familie rührte sich. Nur das Licht der Fackeln zuckte, von den Wänden reflektiert, im Raum umher.
    Herodes legte den Kopf in den Nacken, als versuche er, Widerspruch und Verrat im Raum zu wittern. »Schön«, sagte er schließlich. »Gut gemacht. Damit ist die Gefahr gebannt, die von dem unbekannten Säugling ausging.«
    »Ja, mein König«, bestätigte der Offizier zähneknirschend. »Der Messias ist tot.«
    Herodes drückte seinen wuchtigen Körper ruckartig aus dem Thronschemel hoch. »Der Feind der Königreiche ist tot«, brüllte er den Mann vor ihm an. »Niemand hat von einem Erlöser gesprochen, vom Messias . Die Prophezeiung meines Sternendeuters besagte, dass …«
    Herodes keuchte. Er griff sich an den massigen Unterleib und an die Brust, dann setzte er sich wieder und schickte den Offizier aus dem Raum. »Heute«, fuhr er leiser fort, »ist ein Feind des Königreiches geboren worden, und zwar irgendwo auf dem Weg des wandernden Sternes, den wir seit einigen Tagen auf der Strecke zwischen Masada und Bethlehem am Himmel sehen. Deshalb mussten alle Säuglinge auf dieser Strecke sterben.«
    Archelaos, Herodes’ ältester Sohn, beobachtete, dass niemand Anzeichen von Entsetzen oder Traurigkeit über diese grauenhafte Nachricht vom vielfachen Kindesmord zeigte. Er war mit den Gewohnheiten an diesem Hof und im Umgang mit seinem Vater Herodes nicht vertraut, da er erst vor wenigen Tagen hierher zurückgekehrt war, nachdem er neun Jahre in Rom erzogen worden war. Dort herrschten Recht und Ordnung. Kaiser Augustus regierte das Imperium mit strenger Hand, aber umsichtig. Was für ein Gegensatz war dazu Judäa: Ein Massenmord an Säuglingen! Archelaos war der Schreck ins Gesicht geschrieben. Mit seinen dürren, zittrigen Fingern hob er den Weinkelch zum Mund und trank hastig.
    »Was schaust du so dämlich?«, fragte Herodes. »Hat man dich in Rom verhätschelt? Oder passt dir irgendetwas nicht?«
    Archelaos bemerkte, dass sein Vater ihn argwöhnisch beäugte. Es war gefährlich, das Misstrauen des Königs zu erregen. Archelaos’ ältere Brüder waren schon vor Jahren wegen nie bewiesener Gerüchte über Verschwörungen hingerichtet worden, und er selbst könnte leicht der Nächste sein, denn er hatte noch drei jüngere Brüder, die bereitstanden, seinen Platz als Nachfolger auf dem Thron des Heiligen Landes einzunehmen. Also riss er sich zusammen und spülte seinen Schrecken mit einem weiteren Schluck Wein hinunter. Wie üblich beruhigte ihn der Rebensaft schnell. Er hörte auf zu zittern und schaffte es sogar, seinen Vater anzulächeln.
    »Nein, Vater. Ich war nur überrascht. Das ist alles.«
    »Es war nötig, den Befehl zu geben«, erklärte Herodes. »Ein König hat die oberste Pflicht, seine Herrschaft zu sichern. Nichts anderes. Vernachlässigt ein König diese Pflicht, ist sein Leben keine Drachme wert. Der Feind der Königreiche war mein Feind. Unser aller Feind. Darum musste er sterben, bevor er gefährlich werden konnte. Ich habe es für meine Söhne getan, vor allem für dich, Archelaos, denn du bist jetzt der Älteste.«
    Archelaos fühlte sich unwohl, da sein Name mit dem Mord an kleinen Kindern in Verbindung gebracht werden sollte. Was, wenn sich das bis zu seinen Freunden in Rom herumspräche? Die würden ihn für einen Barbaren halten und niemals wieder einladen.
    »Nicht wahr, ihr alle seid mir dankbar für meine Weitsicht?«, gellte Herodes und blickte in die Gesichter seiner Söhne, die unterschiedlicher nicht sein konnten.
    Archelaos konnte mit keinem seiner Brüder etwas anfangen, wie er nach seiner Ankunft festgestellt hatte. Antipas war trotz seiner erst achtzehn Jahre bereits dick und unförmig und beugte häufiger den Rücken vor seinem Vater als die Sklaven. Er war ein Widerling. Philipp wiederum, mit fünfzehn der Jüngste, war blass und schweigsam wie eine

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