Todesglocken für John Sinclair
Männer, die schon älter waren als die übrigen Gäste, würden auffallen.
Also war ich allein losgezogen und saß nun in dieser künstlichen Hölle aus Musik und zuckendem Laserlicht. Durch den dichten Rauchschleier sah ich die Gäste an der Bar nur undeutlich. Sie alle aber paßten einfach hierher, waren ebenfalls ein wenig verrückt angezogen, und neben mir saß ein höchstens achtzehnjähriger junger Mann, der sich seine Fingernägel mit schwarzem Lack überpinselt hatte. Er besaß die dunkle Haut eines Mischlings, trug eine Pudelmütze auf dem Kopf und eine weiße Lederweste ohne Ärmel auf dem nackten Oberkörper. Zweimal hatte er sich gedreht und mich kurz angeschaut. Beim drittenmal schaute er länger hin.
Ich lächelte.
»Was willst du denn hier, Alter?«
»Ich warte.«
Seine Augen waren dunkel. Jetzt zogen sie sich zusammen. »Auf junges Fleisch, wie?«
»Kann sein.«
Er lachte knapp auf. »Verschwinde lieber. Wenn das die Zombies merken, machen sie dich fertig.«
Ich ließ mein Glas wieder sinken. »Zombies?« fragte ich nach. »Was soll das bedeuten?«
Er drehte sich um. Sein Gesicht geriet dabei in den Schein der Thekenleuchte und wurde zur Hälfte grün angestrahlt. »Weißt du das etwa nicht?« fragte er.
»Nein.«
»Dann geh lieber jetzt. Die Zombies und die Hexen passen hier auf, verstehst du? Sie sind die Wächter. Hier darf nur jemand rein, der ihnen auch paßt.«
»Ich bin reingekommen.«
»Dann werden sie dich noch nicht gesehen haben.«
»Möglich.« Ich nickte. »Wie schauen sie denn aus, deine Zombies?«
Die Augen im Gesicht des Mischlings wurden groß. Ich sah sogar die Gänsehaut und hörte seine Antwort, wobei er die Stimme zu einem Flüstern gesenkt hatte. »Hast du schon Leichen gesehen, Mann?«
»Ja, die meiner Großmutter.«
»Du nimmst mich nicht ernst.« Er schlug mit der Faust neben mein Glas.
»Ich meine Leichen, die lange in der Erde gelegen haben. Da sind sie aufgedunsen, stockig und stinken.« Er zeichnete die Umrisse eines Menschen mit den Händen nach. An jedem Finger trug er einen Ring nach einer anderen Farbe.
»Die kenne ich wirklich nicht«, sagte ich. »Dann müssen sie hier aber gut geschminkt sein.«
»Weiß man das?«
»Wieso?«
»Sie können auch echt sein. Das hier ist die Hölle, Bruder, die Hölle.« Er rutschte vom Hocker, nickte mir zu, streckte dabei die Zunge raus und verschwand mit ruckartigen Bewegungen in Richtung Tanzfläche. Kopfschüttelnd schaute ich ihm nach. Mein Lächeln wollte mir nicht so recht gelingen, denn leider hatte ich schon oft genug mit lebenden Leichen, sprich Zombies, zu tun gehabt.
Der Hocker neben mit blieb nicht lange frei. Ein Mädchen schob sich herbei und nahm Platz.
»Ich bin Gwen«, hörte ich die Stimme.
Jetzt schaute ich genauer hin, denn die Kleine war es wirklich wert, angesehen zu werden. Unter dem dünnen, schwarzen Trikot zeichneten sich gut gewachsene Formen ab, und der hauchzarte Stoff der Netzstrümpfe umspannte lange Beine mit ideal gewölbten Oberschenkeln. Bei vielen Frauen oder Mädchen wirkt so eine oder ähnliche Kleidung gewöhnlich, das war bei Gwendolyn nicht der Fall. Die Maske hatte sie abgenommen. Sie lag auf ihren Oberschenkeln, und zwar mit dem Gesichtsteil nach unten.
Das Mädchen war noch ein wenig außer Atem. Einen ruhigen Job hatten sie hier nicht. Bei den gefüllten Hallen mußten sich die Frauen sehr sputen, um die Gäste bedienen zu können.
Das blonde Haar trug Gwen nicht nur kurz, es war auch hochtoupiert worden. In ihrem runden Gesicht fiel besonders der große Mund auf, dessen Lippen einen graugrünen Lack zeigten. Wahrscheinlich sollte er zur Maske passen.
»Ich bin John Sinclair«, sagte ich.
»Der Geisterjäger?«
»Ja.«
Sie lächelte. »Dann bin ich irgendwie beruhigt.«
Ich wollte nicht gerade mit der Tür ins Haus fallen und erkundigte mich, ob sie etwas trinken wollte.
»Ja, einen Campari mit einem Schuß Orangensaft.«
Den bestellte ich. Die Bedienung hinter der Theke warf ihrer Kollegin einen prüfenden Blick zu, sagte aber nichts. Wahrscheinlich schien Gwens freiwilliges Kommen sie davon überzeugt zu haben, daß ich tatsächlich mit ihr verabredet gewesen war.
Das Mädchen bekam das Getränk, nahm das Glas, trank ein paar Schlucke und schaute mich über den Rand des Gefäßes hinweg an, als ich das Geld für das Getränk auf den Tisch legte. Fast leer stellte sie das Glas wieder zurück. »Das hat gutgetan«, flüsterte sie.
Ich lächelte.
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