Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
hatten Markus und sie gemeinsam in einer Hütte im Fjäll verbracht. Die Reise sollte ihr letzter gemeinsamer Versuch sein, um ihre seit vierzehn Jahren andauernde Beziehung zu retten. Der Gedanke war gewesen, gemeinsam wegzufahren und sich so von der Umwelt abzuschirmen, die nur allzu oft dafür sorgte, dass sie nie Zeit füreinander hatten. Ella hatte das Einerlei des Alltags und ihre zeitintensiven Berufe als die Hauptursache dafür angesehen, dass es in ihrer Beziehung kriselte. Doch nach dem Urlaub im Fjäll war sie sich im Klaren darüber, dass genau dies die Gründe waren, die sie so lange zusammengehalten hatten. Ohne Schichtarbeit, Meetings oder Dienstreisen gab es keine Entschuldigungen mehr für ihr mangelndes Engagement, und sie mussten einsehen, dass es auch keine Beziehung mehr gab, die man hätte retten können. Zurück blieb lediglich Leere und Trauer. Eine Trauer nicht nur darüber, was zwischen ihnen einmal gewesen und schließlich verloren gegangen war, sondern auch über die Hoffnung, die sie beide einmal gehabt hatten.
Neununddreißig Jahre und allein. Bald vierzig. Das war kein angenehmer Gedanke. Auch wenn Ella irgendwo in ihrem Unterbewusstsein längst begriffen hatte, dass ihre Beziehung niemals halten würde, war sie mental nicht darauf vorbereitet, wie es sein würde, auf eigenen Beinen zu stehen. Sie hatte den zwei Jahre älteren Markus im selben Sommer getroffen, in dem sie ihre Zulassung als Ärztin erhielt. Er hatte gerade seine Facharztausbildung zum Chirurgen begonnen, und sie arbeiteten zwei Monate lang in derselben Abteilung. Ein Teil der Spannung hatte darin bestanden, ihre Romanze gegenüber dem übrigen Personal geheim zu halten. Vor dem Spiegel stehend zog ein Lächeln über ihr Gesicht. Sie erinnerte sich noch an ihre nächtlichen Begegnungen in unterirdischen Gängen und Wäschekammern. Es war ein wunderbarer Sommer gewesen. Damals hatte sie zwar nicht den geringsten Gedanken daran verschwendet, den Rest ihres Lebens gemeinsam mit Markus zu verbringen, aber sie verstanden sich gut, und während sie Zukunftspläne schmiedeten, war die Zeit vergangen. Vierzehn Jahre! Es war unfassbar.
Ella schrubbte sich unter dem warmen Wasser ab, damit sich die kleinen Blutstropfen auf ihren Armen auflösten. Blut ist eiweißreich und lässt sich daher bedeutend besser mit warmem Wasser als mit den alkoholhaltigen Reinigungsmitteln abwaschen, die oftmals in medizinischen Einrichtungen bereitstehen. In der Rechtsmedizinischen Abteilung wurden diese Mittel allerdings nicht angewandt, denn es handelte sich hier ja nicht um eine medizinische Einrichtung. Sie waren schließlich Rechtsmediziner und keine Krankenpfleger. Ein Pflaster und diverse Kopfschmerztabletten würden sich vermutlich in irgendeinem der Schränke auftreiben lassen, aber weiter ging der pflegerische Aspekt nicht.
Sie betrachtete wieder ihr Gesicht im Spiegel. Wie bereits so viele Male zuvor ließ sie ihren Blick über ihr langes dunkelbraunes Haar wandern. Er blieb an einem ergrauten Haar in der Mitte des Haaransatzes hängen. Irritiert riss sie es aus. Doch mit Schrecken stellte sie fest, dass es sich nicht um ein einzelnes graues Haar handelte. Sie fühlte sich verraten – noch nicht einmal vierzig und schon graue Haare. Sie seufzte. Ihr war nur allzu bewusst, dass das Altern bereits am Tag der eigenen Geburt begann, aber sie war, wie so viele andere auch, nicht darauf gefasst, als sie damit konfrontiert wurde. Ihre Gene hatten sie glücklicherweise mit einem Aussehen gesegnet, das viele Jahre lang weder Zeit noch besondere Anstrengungen erforderte, um den einen oder anderen Blick auf sich zu ziehen. Im Grunde wusste sie natürlich auch, dass ihr Aussehen ganz passabel war, nur hatte sie es lange Zeit nicht besonders betont. Ellas Mutter und Großmutter hatten sie während ihrer gesamten Kindheit auf die Wichtigkeit hingewiesen, die eigenen körperlichen Vorzüge auszunutzen und zu betonen, wenn auch in stilvoller Weise. Doch sie hatten es übertrieben, sodass sie schließlich gegen beide revoltierte und sich dementsprechend weigerte, Schminke aufzutragen, und sich stattdessen Kleidungsstücke zulegte, von denen sie wusste, dass sie ihnen nicht gefielen. Lange Hosen und Poloshirts waren auf diese Weise zu ihrer persönlichen Uniform geworden, die sie bis in den Sommer hinein trug, bis ihr die hohen Kragen angesichts der Hitze zu warm wurden.
Ellas Entscheidung, unmittelbar nach dem Abitur Medizin zu studieren, erschien
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