Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
und junge Männer, die sich in der Garage erhängten, waren leider nichts Ungewöhnliches.
Ella streifte sich die dicken blauen Gummihandschuhe über und studierte die weißen Tennissocken. Sie waren frisch gewaschen und strahlend sauber. Auch die Unterseite der Strümpfe war absolut weiß. Erst als Ella die Beine des Toten anhob, registrierte sie die winzigen Schmutzpartikel an den Fersen.
»Ziemlich merkwürdig, nicht wahr?«, fragte Johannes und stellte sich neben sie.
»Unter der Voraussetzung, dass der Garagenboden nicht klinisch rein war, sind ihm entweder die Schuhe heruntergerutscht oder ausgezogen worden«, murmelte Ella vor sich hin.
Johannes nickte zustimmend und folgte ihrem Blick.
»Oder jemand hat ihm die Strümpfe angezogen, nachdem er gestorben war.«
Sie überlegte weiter, während sie langsam an der Leiche entlangging.
»Kannst du so nett sein und ein paar Fotos von ihm machen, solange er noch bekleidet ist?«, fragte Ella und wandte sich an Johannes. »Vor allem von den Strümpfen.«
Der junge Mann hatte eine Gänsehaut an den Armen, und die Härchen waren aufgestellt, als ob er frieren würde. Die Totenstarre dauerte also noch an, registrierte sie und ergriff mit ruhiger Hand den Arm des Toten, um sein Ellenbogengelenk zu beugen und ihre Vermutung zu bestätigen. Wenn die Sauerstoffzufuhr zu den Zellen unterbunden ist, kommt der Stoffwechsel zum Erliegen. In den Muskelzellen wird keine Energie mehr bereitgestellt, und da sowohl für das Anspannen als auch Entspannen der Muskeln Energie vonnöten ist, versteifen die Muskeln in der Position, in der sie sich ein paar Stunden nach Eintritt des Todes befunden haben. Die allerkleinsten Muskeln, diejenigen, die die winzigen Härchen in der Haut aufrichten, verkürzen sich sogar ein wenig, wodurch der Tote eine Gänsehaut bekommt.
Das Ellenbogengelenk bot zu Ellas Erstaunen keinen Widerstand. Bei den Fingergelenken hingegen benötigte sie ihre ganze Muskelkraft, um sie zu bewegen. Wenn die Totenstarre einmal gebrochen wurde, blieben die Muskeln weich und beweglich. Üblicherweise hatten die Assistenten die Totenstarre in den Armen bereits gebrochen, weil das oft nötig war, um dem Toten die Kleidung ausziehen zu können, aber in diesem Fall war der junge Mann ja noch angezogen. Sie ging weiter und testete die Totenstarre in den Beinen, die nach wie vor bestand.
»Hast du seine Arme bewegt?«
Johannes folgte jeder Bewegung Ellas mit dem Blick und schüttelte zur Antwort lediglich den Kopf. Sie stellte fest, dass die Schultergelenke ebenfalls weich und beweglich waren.
Als Johannes fertig fotografiert hatte, zog er die Leiche aus, während Ella im Polizeibericht blätterte, um zu kontrollieren, dass sie nichts über eine eventuelle Umlagerung des Toten überlesen hatte. Als sie sich wieder der Leiche zuwandte, die nun nackt auf dem Metalltisch lag, sah der Mann bedeutend jünger aus.
Auf dem Tisch lag der Sohn von jemandem, vielleicht auch der Freund eines Mädchens. Oft war es eine unglückliche Liebe, die die jungen Leute ihre Verzweiflung in dieser selbstzerstörerischen Art und Weise hinausschreien ließ. Männer erhängten sich, Frauen nahmen eine Überdosis Tabletten. Doch der Tod durch Erhängen war oft eine unwiederbringliche Handlung im Gegensatz zur Einnahme großer Mengen an Tabletten, die in vielen Fällen behandelt werden konnte, wenn die Frauen rechtzeitig gefunden wurden. Nachdem man ihnen den Magen ausgepumpt hatte, wurde ein Arzt aus der Psychiatrie gerufen, und das Ganze wurde als Hilferuf tituliert. Die Männer hingegen landeten buchstäblich auf ihrem Tisch.
Ella betätigte die Taste der Sprechanlage und wartete darauf, dass jemand im Büro sie hören würde.
»Hallo!« Wieder die schrille Stimme der Sekretärin. In dem altersschwachen Apparat klang sie metallisch und beinahe unmenschlich.
»Kannst du Jens bitten, in Erfahrung zu bringen, wann der Junge, der sich erhängt hat, zum letzten Mal lebend gesehen wurde?«
Ella blätterte zur ersten Seite zurück und kontrollierte den Namen.
»John Westmark«, fügte sie erklärend hinzu.
»Ich werde es weitergeben«, hörte sie aus dem Lautsprecher, dann wurde das Gespräch beendet.
Um sich nicht allzu sehr mit der Trauer und dem Verlust zu konfrontieren, die der jeweilige Todesfall für das Umfeld des Verstorbenen mit sich brachte, oder auch mit der Absurdität und Sinnlosigkeit, die manche Todesfälle in sich bargen, versuchte Ella die Verstorbenen lediglich als Leichen
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