Todesmelodie
ihres Grundstücks. Chad kümmerte sich wirklich mehr um ihren Besitz als sie selbst!
»Dann laß mich dich bitte für deine Arbeit bezahlen«, erwiderte sie.
Er nickte lachend. »Zwei Riesen würden schon reichen!«
»Ich schreib’ dir einen Scheck«, meinte sie und streckte ihm die Arme entgegen.
Er zog sie an sich und gab ihr einen schnellen, aber heftigen Kuß auf die vollen Lippen. Paul hatte offenbar nie gelernt, wie man richtig küßt, jedenfalls nicht so, wie eine Frau normalerweise geküßt zu werden wünschte, und Ann war froh darüber. Sie war nicht wie die andern Frauen.
»Warum bin ich hier?« fragte Paul, als sie sich wieder voneinander lösten.
Sie strich ihm eine dichte Strähne aus der Stirn. Ihre Haare hatten die gleiche Farbe, ein so dunkles Braun, daß es schwarz wirkte. Aber während Anns Haare leicht und fein waren wie eine Sommerbrise, waren seine voll und kräftig, fast wie feste Schnurfasern.
Oder Seil. Ich könnte mich damit erhängen… Aber das stimmte nicht: Sie würde vielleicht sterben, aber niemals hängen!
Lächelnd beantwortete sie jetzt seine Frage: »Du bist hier, um mich zu treffen.«
»Was sollte eigentlich dein Gerede gestern abend?« wollte er wissen.
»Willst du nicht erst wissen, wie mein Tag war?«
»Na gut. Wie war dein Tag?« fragte er ungeduldig.
Ann fing an zu lachen, wurde dann aber plötzlich ernst. »Weißt du denn nicht was heute für ein Datum ist?« Ihre Stimme klang weich.
»Nein.«
»Heute ist es ein Jahr her.«
Paul zögerte einen Moment und meinte dann: »Das stimmt nicht. Jerry ist doch im August gestorben.«
Sie wandte sich ab und blickte zur Schule hinunter. »Das meinte ich nicht. Heute war… heute ist sein Geburtstag. Vor einem Jahr ist er sechzehn geworden.«
»Tut mir leid!«
»Ach, Paul, warum gibt es eigentlich so viele Lieder über Sechzehnjährige? Meinst du, es kommt daher, daß in dem Alter der Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen stattfindet?«
»Wahrscheinlich reimt sich sechzehn nur zufällig gut auf alle möglichen anderen Wörter!« Er legte ihr die Hand auf die Schulter. »Ann, du mußt aufhören, darüber nachzugrübeln. Es ist vorbei!«
Sie blickte noch immer zur Schule hinunter. Jahrelang war sie hingegangen, aber jetzt – es erschien ihr selbst verrückt – erkannte sie sie kaum. »Ich will aber nicht damit aufhören!« flüsterte sie.
»Dann solltest du aufhören, Sharon zu treffen.«
»Das will ich auch nicht.«
»Was möchtest du dann?« fragte er.
»Wußtest du schon, daß ich jetzt Bungee-Springen lerne?«
»Umbringen willst du dich, das ist es also!«
»Es soll statistisch sicherer sein als Auto fahren!«
»Das glaub’ ich nicht«, erwiderte Paul.
»Und genauso sicher wie Bergsteigen. Chad hat mir im Sunset-Nationalpark gezeigt, wie es geht, wußtest du das nicht?«
»Nein, allerdings nicht! Wann hast du das nur alles gemacht?«
Sie wandte sich wieder zu ihm um, und seine Hand glitt von ihrer Schulter.
»Hier und da mal. Die Kletterei und das Bungee-Springen haben eine Menge gemeinsam: Beim Klettern riskierst du, jeden Moment zu fallen, und beim Bungee fällst du einfach.«
»Wenn du nicht sofort vernünftig mit mir redest, haue ich ab!« drohte ihr Paul.
Ann nickte. »Du hast recht. Ich muß damit aufhören. Ich muß diesen ganzen Schwachsinn hinter mir lassen.« Sie machte eine Geste, die die Schule und das ganze Tal einschloß. »Ich hasse das alles hier!«
»Laß uns im Sommer nach Mexiko fahren!«
»Wir können hinfahren…«, erwiderte Ann, ohne den Satz zu beenden.
Paul war alarmiert, denn sosehr er Ann auch liebte – und sie wußte, daß er sie genauso liebte wie sie ihn –, er traute ihr doch nicht ganz. Und das war gut so, denn ihr selbst ging es mit ihm ähnlich.
»Wir können hinfahren, nachdem wir was getan haben?« fragte er ahnungsvoll. »Ich will Sharon nicht verletzen!«
»Verletzen? Davon habe ich nicht gesprochen. Hat sie Jerry etwa nur verletzt?«
»Sie hat Jerry nichts getan.«
Ann wurde plötzlich wütend. »Genau, sie hat nichts getan. Sie hat zugelassen, daß er sich in sie verliebte, und ihn dann einfach vergessen. Sie hatte überhaupt keine Zeit ihm irgendwas anzutun – sie hatte für nichts Zeit!«
»Immerhin nimmt sie sich Zeit für dich!«
Ann lächelte bitter. »Ich weiß.«
»Hör auf damit, Ann! Du machst dich verrückt.«
»Ich kann aber nicht!«
»Und warum nicht?«
»Ich kann nicht, verstehst du das nicht?« Sie mußte diese Frage stellen,
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