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Todesqual

Titel: Todesqual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ellis Karin Dufner
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ihm um. »Ich wusste es auch. Und zwar von Anfang an.«
    Anstelle einer Antwort ließ er die Erinnerungen Revue passieren. Da war Harriet, aber auch seine Schwester Tilly. Er sah, wie sich ihr zerzaustes blondes Haar auf dem sauberen Sandstrand ausbreitete. Er hörte ihr Kichern. Dachte daran, wie die im Meer untergehende Sonne ihr Gesicht in ein warmes Licht tauchte. Sie hatten zusammen davonlaufen wollen. In ihrem Geheimversteck am Strand hatten sie darüber gesprochen. Vor langer Zeit. Ein Bild aus seiner Kindheit, das verloren gegangen war, bis ihm endlich der Blick vom Kreuz gelang.
    »Wer hat es dir erzählt?«, fragte Harriet.
    Das Bild aus der Vergangenheit verblasste, und er musterte die am Bett festgekettete Frau.
    »James Brant«, antwortete er. »Weißt du jetzt, wer ich bin?«
    Er merkte ihr an, wie sie die einzelnen Punkte miteinander verband. Zu seiner Überraschung versiegten die Tränen, und sie nahm sich zusammen. Eine Weile verging, bis sie weitersprach.
    »Wir sind uns sehr ähnlich«, sagte sie.
    »Wie bitte?«
    »Ich habe zwar niemandem wehgetan, weiß aber, wie es ist, ein geheimes Leben zu führen. Ein Phantasieleben.«
    »Mag sein«, erwiderte er.
    »Ich hatte lange Zeit ein Doppelleben. Das eine läuft in die eine Richtung, das andere in die entgegengesetzte.«
    »Ich habe mein Bestes für dich gegeben, aber das ist jetzt vorbei.«
    »Warum muss es vorbei sein?«
    Schweigend betrachtete er die Blutergüsse, die sie sich beim Treppensturz zugezogen hatte. Er hatte sie gestoßen. Er konnte sie nicht mehr beschützen, nicht einmal vor sich
selbst. Es war unmöglich, sie in etwas zu verwandeln, das sie nicht war. Es war der einzige Weg.
    »Warum muss es enden?«, beharrte sie. »Wir haben doch so viel gemeinsam. Unseren Beruf. Unsere Interessen. Da alle über mein Doppelleben Bescheid wissen, wird mir ohnehin niemand glauben, was du mit mir gemacht hast. Du müsstest nur sagen, dass ich es so gewollt habe. Dass ich eine Nutte bin und alles freiwillig war.«
    Fellows dachte an Burell und ihr Geburtstagsgeschenk, das er in der Tiefkühltruhe frischhielt. Es schien der richtige Zeitpunkt zu sein.
    »Ist das das Gerede, mit dem du Burell scharfgemacht hast?«
    Anstelle einer Antwort bewegte sie Hände und Füße, dass die Handschellen klapperten.
    »Kannst du sie nicht ein bisschen lockerer einstellen?«
    »Ich fürchte nicht.«
    »Dann tu mir wenigstens einen Gefallen.«
    »Kommt drauf an, was es ist.«
    »Ich habe einen Juckreiz, der mich noch wahnsinnig macht.«
    »Wo?«
    »An der Wange.«
    Er ging zum Feldbett und setzte sich neben sie. Anders als Lena Gamble war Harriet Wilson die schönste Frau gewesen, die er je gesehen hatte. Als sein Blick über ihren hinreißenden Körper glitt, stieg ihm der Geruch ihrer Haut in die Nase. Ihr Duft schwebte in der Luft zwischen ihren Beinen. Und da war etwas in ihrem Gesicht. Ein verlockendes Leuchten.
    »Wo juckt es?«
    Sie drehte den Kopf zum Licht. »Dicht unter dem linken Auge.«
    Als er sich vorbeugte, bemerkte er Tränenspuren. Er wischte sie weg und streichelte mit dem Daumen über ihre
Haut. Sanft. Gleichmäßig. Sie seufzte auf. Erleichterung malte sich in ihrem Blick.
    »Mach weiter«, sagte sie. »Hör nicht auf.«

61
    N ur eines wusste Lena genau. Sie war nicht vergewaltigt worden. Martin Fellows konnte fotografieren, so viel er wollte. Doch wenn er eines seiner Opfer angerührt hatte, war die betreffende Frau aufgewacht und hatte bemerkt, was geschah.
    Wie sie in ihrer Angst reagiert hatten, stand auf einem anderen Blatt. Einige Opfer hatten vielleicht mitgespielt, um ihre Überlebenschancen zu erhöhen. Andere hatten sich vergeblich gegen das mit Steroiden vollgepumpte Ungeheuer gewehrt. Ein paar der Opfer hatten Anzeige erstattet, manche es für sich behalten. Und wieder andere hatten es, wie die Frau, die sich an eine unbefleckte Empfängnis klammerte, einfach geleugnet, weil sie es nicht einmal sich selbst eingestehen konnten, dass ihnen so etwas zugestoßen war.
    Es war halb neun. Novak saß neben ihr am Schreibtisch, als sie drei der sechs Kartons mit Beweismitteln durchsahen, die sie aus Martin Fellows’ Haus in Venice Beach abtransportiert hatten. Die Steuererklärungen, Kontoauszüge und Stromrechnungen der letzten fünf Jahre. Alles, ganz gleich, wie belanglos und unwichtig es ihnen auch erscheinen mochte, konnte ein Hinweis auf einen zweiten Wohnsitz sein. Sánchez und Rhodes durchsuchten auf ihrer Seite des Büros die anderen

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