Todesqual
er die Frau lachend eine Hure genannt und Fellows mit seiner Schwärmerei für sie aufgezogen. Allerdings bedeutete sie Fellows etwas, und zwar so viel, dass er Brants Frau umgebracht und am Tatort gewartet hatte, um die Reaktion des Ehemanns beim Auffinden der verstümmelten Leiche zu beobachten. Bei Harriet Wilson würde er hingegen anders vorgehen. Sie zu töten stürzte ihn sicher in einen inneren Konflikt, weshalb es durchaus möglich war, dass er sie noch eine Weile am Leben lassen und zu ihr zurückkehren würde.
Barrera wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Solange die Spezialeinheit ihn beschattet, kann er niemandem etwas schaden.«
»Theoretisch richtig«, widersprach Novak. »Aber wollen Sie das Risiko wirklich eingehen?«
»Ich denke, wir sollten nichts überstürzen, Hank. Geben wir der Spezialeinheit ein paar Stunden, um festzustellen, wo er hinfährt. Wenn Fellows uns nicht zu dem Mädchen führt, nehmen wir ihn fest und hoffen, dass wir ihn zum Reden bringen können.«
Novak verzog das Gesicht und schlug mit der Faust auf den Fotostapel, den er noch in der Hand hielt. Als die Bilder zu Boden schwebten, stieß er plötzlich einen entsetzten Schrei
aus. Lena und alle anderen folgten seinem Blick. Im ersten Moment begriff sie nicht ganz, was sie da sah. Dann schnürte es ihr die Brust zu, und der Raum fing an, sich zu drehen.
Wieder waren es drei Fotos einer Frau, die in ihrem Bett schlief, eine Bilderserie, geschossen von einem Wahnsinnigen in der Dunkelheit.
Lena starrte auf die Fotos. Sie bemerkte eine Pistole auf dem Nachtkästchen. Daneben lagen Dienstausweis und Polizeimarke. Als ihre Augen endlich auf ihrem eigenen Gesicht ruhten, sah sie zwar, dass Novak ihre Hand nahm, aber sie spürte es nicht.
60
Martin Fellows, alias Mick Finn, alias Romeo, der wahre Freund der Frauen und zudem derzeit aller Welt aus Presse und Fernsehen bekannt, wandte sich von seiner Werkbank in dem kleinen Kellerraum ab und betrachtete Harriet Wilson, die ihn mit wildem Blick anstarrte. An Händen und Füßen mit Handschellen gefesselt, lag sie ausgestreckt auf einem Feldbett. Ihre Bluse war aufgerissen, ihr Rock hing in Fetzen.
»Warum tust du das, Martin?«
»Nenn mich nicht Martin. Das ist nicht mehr mein Name.«
»Wie soll ich dich dann nennen?«
Er antwortete nicht, weil er nicht sicher war. Er wusste nur, dass sich in seinem Leben etwas Wichtiges zugetragen hatte. Zum ersten Mal seit langer Zeit war er ein Mensch, eine Stimme, eine vollständige Einheit auf einer historischen Mission. Diese Erleuchtung war ihm nach dem Mittagessen während der Fahrt zum Einkaufszentrum gekommen. Noch nie hatte er eine derartige Klarheit verspürt. Er konnte die Polizisten, die ihn verfolgten, fast so gut sehen, als hätten sie Neonreklamen
bei sich getragen. Auf dem Weg nach West Hollywood hatte er jede ihrer Bewegungen voraussagen können. Als er sich im Parkhaus eine dunkle Lücke suchte, rasch etwas bei Williams-Sonoma besorgte und zu Fuß zurückkehrte, war das lästige Problem bereits aus der Welt geschafft. Zwei tote Polizisten saßen friedlich auf den Vordersitzen ihres geparkten Wagens.
Er hoffte, dass die Vision anhalten würde. Vielleicht, ja, nur vielleicht hatte er nun endlich das Stadium erreicht, nach dem ein buddhistischer Mönch sein ganzes Leben lang strebte. Eine christliche Version des Nirwana. Nichts Geringeres als den Blick vom Kreuz.
»Warum tust du das?«
Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
»Weil sie es wissen«, erwiderte er. »Alle wissen es.«
»Alle wissen was?«
»Wer du wirklich bist, Harriet. Was du in deiner Freizeit so treibst.«
In ihren Augen blitzte etwas auf. Er merkte ihr an, dass er sie zum Nachdenken gebracht hatte. Die Tür zu ihrem Geheimnis öffnete sich und gewährte der Panik Einlass.
»Ich weiß es schon seit Monaten«, fuhr er fort. »Du bist nicht das niedliche kleine blauäugige Mädchen aus Nebraska, für das du dich ausgibst. Wie viele unserer Kollegen holen sich jeden Abend einen runter, während du dich von einem alten Mann mit Perücke durchvögeln lässt? Ich würde sagen, so ungefähr alle.«
Sie wandte sich ab. Er hörte, dass sie weinte. Das bemerkte er, obwohl sie versuchte, dabei kein Geräusch zu machen.
»Wir arbeiten jeden Tag zusammen«, begann sie schließlich. »Wir sind Freunde. Warum hast du nicht mit mir darüber gesprochen?«
»Ich habe es als Letzter erfahren. Alle wussten, wie gern ich dich hatte.«
Sie drehte sich wieder zu
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