Todesschrein
unerkannt unter den Einheimischen zu bewegen.
Reykjavik war eine Stadt der niedrigen Gebäude und bunt gestrichenen Häuser, die in der schneebedeckten Landschaft wie der Schmuck an einem Weihnachtsbaum wirkten. Das höchste Gebäude, die Hallgrimskirkja–Kirche, war nur wenige Stockwerke hoch, und die Dampfschwaden, die aus den geothermalen Quellen aufstiegen, verliehen der Landschaft eine geheimnisvolle Ausstrahlung. Der Geruch von Hydrosulfid – aus den heißen Quellen – durchsetzte die Luft mit dem Gestank fauler Eier.
Reykjavik drängte sich um den zu allen Jahreszeiten eisfreien Hafen, der auch die Fischereiflotte, die Grundlage der isländischen Wirtschaft, beherbergte. Überhaupt waren die durchschnittlichen Wintertemperaturen in der Stadt deutlich milder als in New York. Die Bürger von Island gelten als außerordentlich gesund und wirken glücklich. Das Glücklichsein lässt sich auf eine positive Lebenseinstellung zurückführen, die Gesundheit auf den Überfluss an heißen Quellbecken in der näheren und weiteren Umgebung.
Die arabischen Gipfeltreffen fanden im Hofoi statt, dem großen Haus, das mittlerweile für städtische Veranstaltungen benutzt wurde und außerdem 1986 Schauplatz der Begegnung zwischen Mikhail Gorbatschow und Ronald Reagan gewesen war. Das Hofoi war weniger als zwei Kilometer vom Liegeplatz der Oregon entfernt, ein Vorteil, der die Sicherheitsmaßnahmen erheblich erleichterte.
Katar hatte die Corporation schon früher benutzt – und sie unterhielten eine Partnerschaft, die von gegenseitiger Hochachtung geprägt war.
Aus Respekt vor den christlichen Teilnehmern am Gipfeltreffen hatte man für den ersten Weihnachtstag keine Konferenzen angesetzt. Daher waren unter Deck in der Küche der Oregon drei Köche damit beschäftigt, die letzten Vorbereitungen für das bevorstehende große Festmahl zu treffen.
Der Hauptgang befand sich bereits im Ofen – zwölf große Turducken. Die Turducken waren das Lieblingsgericht der Mannschaft – es handelte sich um entbeinte Hühner mit einer Füllung aus Maismehl und Salbei, die in entbeinte Enten mit einer sparsameren Füllung aus Knoblauchbrot gestopft worden waren. Letztere wanderten dann in ebenfalls entbeinte Truthähne, die man mit einer Füllung aus Austern und Kastanien versehen hatte. Wenn die Vögel angeschnitten würden, enthielten die Scheiben drei verschiedene Arten Fleisch.
Tabletts mit Horsd'oeuvres befanden sich bereits auf den Tischen: geeiste Möhren, Sellerie, Schalotten, Meerrettich und Zucchini. Daneben standen Schüsseln mit Nüssen, Früchten, Käse und mit Kräckern sowie Platten mit Krabbenscheren, frischen Austern und Hummerfleisch. Drei verschiedene Suppen, Waldorf– und grüner Salat, ein Fischgang, ein Käsegang, Minze–, Kürbis–, Apfel– und Blaubeerkuchen, Sherry, Liköre und Jamaican–Blue–Mountain–Kaffee.
Niemand von der Besatzung würde hungrig vom Tisch aufstehen.
In seiner geräumigen Kabine frottierte Juan Cabrillo seine nassen Haare, dann rasierte er sich und benetzte seine Wangen mit einem pimentölhaltigen Aftershave. Sein blonder Bürstenhaarschnitt bedurfte nur geringer Pflege, doch in den letzten Wochen hatte er sich einen Spitzbart stehen lassen, den er nun mit einer kleinen Schere sorgfältig stutzte. Angetan von seinem Werk blickte er in den Spiegel und lächelte. Er sah gut aus – ausgeruht, gesund und zufrieden.
Dann begab er sich in die Kabine und entschied sich für ein gestärktes weißes Oberhemd, den leichten grauen Schurwollanzug eines Londoner Maßschneiders, eine Seidenkrawatte, weiche graue Wollsocken und ein Paar schwarzer glänzender Cole–Haan–Sportschuhe mit Troddeln. Nachdem er die Sachen herausgelegt hatte, zog er sich an.
Während er den Knoten der rotblau gestreiften Krawatte band, überprüfte er seine äußere Erscheinung mit einem letzten kritischen Blick, dann öffnete er die Tür und ging durch den Korridor zum Fahrstuhl. Vor ein paar Stunden hatte sein Team von einer Drohung gegen den Emir erfahren. Mittlerweile war ein Plan angelaufen, der, falls er sich als erfolgreich erwies, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen würde.
Wenn sie jetzt auch noch die Atombombe wiederfänden, die auf der anderen Seite des Globus verloren gegangen war, dann könnte dieses Jahr durchaus positiv enden. Cabrillo hatte nicht die geringste Ahnung, dass er in nur vierundzwanzig Stunden über einer Eiswüste in Richtung Osten unterwegs wäre – oder dass das Schicksal
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