Toedliche Hoffnung
hatte.
»Menschenhandel«, antwortete Richard Evans.
»Menschenhandel? Was denn genau, Trafficking , Zwangsprostitution oder wie?«
»Naja, nicht direkt.« Er wischte sich die Finger an der Serviette ab. »Er recherchierte über Flüchtlinge, die zur Zwangsarbeit missbraucht werden, über reine Sklaverei – und wie sie im Zuge der Globalisierung steigt. Arme Menschen, die in Containern sterben, wenn sie über die Grenzen geschleust werden sollen; sie ersticken oder ertrinken im Meer zwischen Afrika und Europa und werden an die Badestrände geschwemmt. Vor einigen Jahren ertrank eine ganze Gruppe von Chinesen beim Muschelsammeln. Es waren Bauern, die aus dem chinesischen Inland stammten. Niemand hatte ihnen erklärt, was Ebbe und Flut ist. Ein ziemlich grausamer Tod, wenn Sie mich fragen.«
»Aber wenn sich das vorwiegend an den Küsten und in Grenzregionen abspielt – warum ist er dann in Paris?«
»Gute Frage! Es gab keinen eindeutigen Aufhänger.« Evans winkte dem Kellner hinter dem Tresen und deutete auf seinen leeren Teller. »Wenn wir Berichte aus dem Ausland einkaufen, muss es einen neuen Zugang geben, einen eigenen Angriffspunkt. Aber das sollte Cornwall eigentlich wissen, er arbeitet immerhin schon lange für uns, wie viele Jahre sind es mittlerweile? Fünf? Sechs?«
»Patrick sagt immer, dass Journalisten, die genau wissen, worauf sie hinauswollen, gefährlich sind«, entgegnete ich. »Weil sie lediglich unsere Vorurteile bestätigen. Sie nehmen die Wirklichkeitnicht wahr, denn sie wissen bereits vorher, wie sie ihrer Meinung nach aussehen sollte.«
Seine Augen blitzten auf, als er lachte. Sonnenreflexe auf eiskaltem Wasser.
»Ich war genau wie Patrick Cornwall, als ich in seinem Alter war, so beharrlich, ganz vom Beruf beseelt. Dieser Glaube daran, dass man immer die Wahrheit findet, wenn man nur tief genug gräbt! Aber es gibt nicht mehr viele, die das noch tun, die Journalisten sind ängstlich geworden, heutzutage sind alle ängstlich, wollen nur ihre Rente haben und an ihrem Eigenheim herumbasteln.«
Er bestellte einen Espresso. Ich schüttelte den Kopf, als der Kellner mich ansah. Mir war bereits vom Geruch des Rühreis und der fettigen Wurst schlecht.
»Aber warum musste er dafür extra nach Europa?«, fragte ich. »Er hätte doch einfach nur nach Queens fahren müssen, um eine ähnliche Geschichte zu finden.«
Richard Evans schüttelte den Kopf und hielt einen Vortrag darüber, warum eine Reportage über das Elend in Queens nicht genauso gut war wie eine aus Paris, Europa; die Not sei aus der Distanz besser zu verdauen.
Ich spürte, wie mir der Schweiß unter den Armen klebte. Im Café war es enger geworden, der Mittagspausenansturm hatte eingesetzt. Geschäftsmänner, Medienleute.
»... und der Sinn dabei, Freiberufler zu beschäftigen, ist ja eben der, dass sie sich dorthin begeben, wo sonst niemand ist. Aber das verstehen die Marketingtypen da drüben nicht.« Er zeigte mit dem Finger auf die oberen Stockwerke auf der anderen Straßenseite. »Sobald ich eine Geschichte einkaufe, die auch nur das kleinste bisschen kontrovers ist, glauben sie, ich wollte sie ins Jahr 68 zurückversetzen.«
Ich wusste, dass The Reporter 1968 vorübergehend eingestellt werden musste, weil sich die Führung nicht darauf einigen konnte, in welcher Weise man über den Vietnamkrieg berichten sollte. Aber um das zu diskutieren, war ich nicht gekommen.
»Ist er undercover unterwegs?«, erkundigte ich mich.
»Dann wäre es auf jeden Fall schlau gewesen, das erst mit mir abzusprechen, aber man weiß ja nie. Vielleicht will er mich überraschen.«
Evans seufzte schwer und kratzte sich durch sein dichtes Haar hindurch am Kopf. Patrick zufolge wäre er Chefredakteur geworden, wenn er es verstanden hätte, mit einem Budget umzugehen. Stattdessen kannte er sich mit dem Journalismus aus, im Unterschied zu den Marketing-Hampelmännern, die heutzutage die Chefposten bekamen, und die Patrick im selben Maße verachtete, wie er die alten Journalisten wie Bernstein, Woodward und Evans verehrte.
»Früher konnte ich stundenlang mit den Reportern zusammensitzen«, sagte er. »Wir gingen die Geschichten vorher durch, probierten verschiedene Analysen aus und spielten mit unterschiedlichen Aufhängern. Für so etwas bleibt heute keine Zeit mehr.«
Zwischen seinen langen Fingern wirkte die winzige Tasse wie Puppengeschirr.
»Ich war in Vietnam, ich habe My Lai gesehen, ich war in Phnom Penh, kurz bevor die Roten Khmer
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