Toedliche Spiele
Zeit, Gale die Daumen zu drücken, als sie auch schon den Namen verliest. »Peeta Mellark.« Peeta Mellark!
Oh nein,
denke ich.
Nicht der.
Denn ich kenne den Namen, obwohl ich noch nie direkt mit seinem Träger gesprochen habe. Peeta Mellark.
Nein, heute ist das Glück wirklich nicht auf meiner Seite.
Ich sehe zu, wie er sich einen Weg zur Bühne bahnt. Mittelgroß, stämmiger Körperbau, aschblondes Haar, das ihm in Wellen in die Stirn fällt. Der Schreck steht ihm ins Gesicht geschrieben. Man sieht, wie er darum kämpft, gleichgültig zu bleiben, aber in seinen blauen Augen sehe ich die Angst, die ich von meiner Beute kenne. Trotzdem steigt er zielstrebig auf die Bühne und nimmt seinen Platz ein.
Effie Trinket erkundigt sich nach Freiwilligen, doch niemand tritt vor. Ich weiß, dass er zwei ältere Brüder hat, ich habe sie in der Bäckerei gesehen, aber der eine ist inzwischen wahrscheinlich zu alt, um sich freiwillig zu melden, und der andere will nicht. Das ist der Normalfall. Am Tag der Ernte reicht der Familiensinn bei den meisten Menschen nicht weit. Was ich getan habe, war radikal.
Wie jedes Jahr an dieser Stelle kommt der Bürgermeister seiner Pflicht nach und liest den langen, öden Hochverratsvertrag vor, aber ich höre überhaupt nicht hin.
Wieso er?,
denke ich. Dann versuche ich mir einzureden, dass es egal ist. Peeta Mellark und ich sind nicht befreundet. Nicht mal Nachbarn. Wir reden nicht miteinander. Unsere einzige richtige Begegnung liegt Jahre zurück. Er hat es wahrscheinlich vergessen. Aber ich nicht und ich weiß, dass ich es nie vergessen werde ...
Es war in der schlimmsten Zeit. Mein Vater war drei Monate zuvor bei dem Minenunfall getötet worden, im eisigsten Januar seit Menschengedenken. Die Dumpfheit nach seinem Verlust verzog sich und der Schmerz traf mich aus dem Nichts, mein Körper krümmte sich zusammen und wurde von Schluchzern geschüttelt.
Wo bist du?,
schrie es in mir.
Wohin bist du gegangen?
Natürlich bekam ich nie eine Antwort.
Der Distrikt hatte uns zum Ausgleich für seinen Tod einen kleinen Geldbetrag zugewiesen, genug, um einen Monat der Trauer zu überstehen. Danach wurde erwartet, dass meine Mutter sich eine Arbeit suchte. Aber das tat sie nicht. Sie tat gar nichts, sie saß nur auf dem Stuhl, noch häufiger kauerte sie in Decken gehüllt auf ihrem Bett, den Blick in die Ferne gerichtet. Ab und zu kam Bewegung in sie, sie stand auf, als hätte sie dringend etwas zu erledigen, nur um dann wieder in ihre Starre zu fallen. Prims Flehen schien sie nicht zu berühren.
Ich hatte entsetzliche Angst. Heute denke ich, dass meine Mutter in einer dunklen Welt der Trauer eingeschlossen war, aber damals wusste ich nur, dass ich nicht nur einen Vater verloren hatte, sondern auch eine Mutter. Mit elf Jahren, Prim war sieben, übernahm ich die Rolle des Familienoberhaupts. Ich hatte keine Wahl. Ich kaufte unser Essen auf dem Markt, kochte es, so gut ich konnte, und achtete darauf, dass Prim und ich einigermaßen anständig aussahen. Denn wenn bekannt geworden wäre, dass meine Mutter sich nicht mehr um uns kümmern konnte, dann hätte der Distrikt uns ihr weggenommen und ins Gemeindeheim gesteckt. Ich kannte den Anblick dieser Heimkinder aus der Schule. Die Traurigkeit, die Male, die wütende Hände auf ihren Gesichtern hinterlassen hatten, die Hoffnungslosigkeit, die ihre Schultern beugte. Davor musste ich Prim unbedingt bewahren. Die süße, kleine Prim, die weinte, wenn ich weinte, noch ehe sie wusste, warum; die meiner Mutter das Haar bürstete und flocht, bevor wir zur Schule aufbrachen; die noch immer jeden Abend den Rasierspiegel meines Vaters polierte, weil er den Kohlenstaub gehasst hatte, der sich auf alles im Saum legte. Im Gemeindeheim würde man sie zerquetschen wie eine Wanze. Deshalb verheimlichte ich unsere elende Lage.
Doch das Geld wurde knapp und langsam, aber sicher verhungerten wir. Man kann es nicht anders sagen. Wenn ich nur bis Mai durchhalten würde, redete ich mir ein, nur bis zum 8. Mai, dem Tag, an dem ich zwölf wurde, dann könnte ich mich für die Tesserasteine eintragen und das wertvolle Getreide und Öl bekommen, um uns zu ernähren. Nur dass es bis dahin noch einige Wochen waren. Bis dahin konnten wir auch schon tot sein.
Hungertod ist kein ungewöhnliches Schicksal in Distrikt 12. Wer hätte die Opfer nicht gesehen? Ältere Leute, die nicht arbeiten können. Kinder aus Familien mit zu vielen hungrigen Mäulern. Verletzte aus den Minen. Sie
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