Tödlicher Absturz: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
Landeshauptstadt als Pastor tätig gewesen war. Seit einigen Jahren befand er sich im Ruhestand, was den beinahe Achtzigjährigen jedoch nicht daran hinderte, vertretungshalber in den umliegenden Gemeinden einzuspringen, wenn Not am Mann war. Julia missfiel dies zunehmend, sie sorgte sich um ihren Vater, der bei weitem nicht mehr so fit war wie noch vor ein paar Jahren.
»Julia, du musst das verstehen«, entgegnete er nur jedes Mal, wenn sie das Thema ansprach. »Ich habe den Großteil meines Lebens im Dienst an der Gemeinde verbracht, und so werde ich es auch einmal beenden. Ich kenne die meisten Menschen hier seit ihrer Taufe, habe viele von ihnen getraut und auch einige beerdigt. Julia, das ist für mich kein lästiger Job, das ist mehr wie eine große Familie. Lass mich das machen, dadurch fühle ich mich lebendiger, als wenn ich zu Hause in meinem Sessel hocke.«
Julias Mutter war vor vielen Jahren an Krebs gestorben, und immer öfter plagten sie Gewissenbisse, dass sie ihren Vater wegen ihres Hunderte Kilometer entfernten Jobs nur so selten sah.
Doch es war nicht Pastor Durant alleine, den die Kommissarin in München besucht hatte. Silvester hatte sie mit Kommissar Claus Hochgräbe und einigen Kollegen von der Münchner Mordkommission gefeiert. Der Kontakt war vor einigen Monaten während des Mason-Falls zustande gekommen, und Hochgräbe hatte Julia irgendwann nach München eingeladen. Er war ein sympathischer Mann, ein paar Jahre älter als sie, durchaus attraktiv, kinderlos und außerdem verwitwet.
»Eine gute Partie!«, so hatte Hellmer ihn, als Julia ihm den Münchner Kollegen zum ersten Mal beschrieben hatte, lapidar bezeichnet. »Angel dir den nur mal, egal, ob hinterher was draus wird oder nicht.« Julia Durant hatte daraufhin nur müde gelächelt. Die Zeiten, in denen sie sich auf die Suche nach kurzlebigen Abenteuern begeben hatte, waren vorbei. Diese Julia Durant gab es nicht mehr.
Erst gestern war sie nach Frankfurt zurückgekehrt. In Bayern war es noch um einiges kälter gewesen, sie war also gut vorbereitet, kramte die Thermowäsche aus dem noch nicht ausgepackten Koffer und zog eine Jeans und einen hellgrauen Wollpullover darüber. Dunkelgrauer Mantel, schwarzer Fleeceschal, schwarze Lederhandschuhe, alles dabei – prüfte sie im Hinausgehen. Die Pudelmütze lag offenbar noch im Auto.
Gleichzeitig mit Hellmer traf die Kommissarin zehn Minuten später an der angegebenen Adresse ein. Die Taunusanlage war ein Teil des Frankfurter Grüngürtels und wand sich vom Opernplatz zwischen den Hochhäusern der Banken hindurch in Richtung Main. Sie durchschnitt das protzige Finanzviertel und trennte die Sündenmeile und den Hauptbahnhof im Westen von den eleganten Boutiquen und Hotels, die östlich angesiedelt waren. Selbst im Winter strahlte die vier Hektar große Parkanlage eine gewisse Anmut aus, sicher nicht so elegant wie der Holzhausenpark, aber überall standen Statuen und Skulpturen, und wenn man den Blick nicht abschweifen ließ, konnte man die protzigen Paläste der Hochfinanz und die unweit liegenden Sexclubs für einen Moment vergessen.
»Guten Morgen, meine Liebe«, begrüßte ihr langjähriger Partner sie mit polternder Stimme und zog Julia sogleich in eine kurze, heftige Umarmung. »Frohes Neues!«
»Dir auch«, ächzte sie und klopfte ihm auf die Schulterblätter. »Würde es dir etwas ausmachen …«
Hellmer ließ locker, und Julia schüttelte prustend den Kopf. »Ein paar Sekunden länger, und mir wäre der Sauerstoff ausgegangen.« Ihr Atem kondensierte sofort zu kleinen Wolken.
»Wollen wir?«, fragte Hellmer mit einem Nicken in Richtung des vor ihnen liegenden Wolkenkratzers. Julias Blick wanderte nach oben, es waren schätzungsweise dreißig, vierzig Etagen, vielleicht sogar noch mehr. Sie rechnete kurz. Hundertfünfzig Meter?
»Okay, dann los«, nickte sie. »Bleibt uns ja nichts übrig.«
Die Zufahrt zum Hinterhof des verwinkelten Betonkomplexes ging mit einem leichten Gefälle und in einer Rechtskurve nach unten, gerade so weit, dass man die oben liegende Straße und den Gehweg nicht mehr sehen konnte. Ein vier Meter breites Schiebetor mit grauen, glanzlosen Metallstreben, von denen jede einzelne so dick war wie ein Unterarm, war zu zwei Dritteln geöffnet. Im Innenhof befanden sich unter einem Vordach zwei Doppeltüren mit Gitterglas, durch das von innen her Licht schien. Vermutlich handelte es sich um die Zulieferungszone der Kantine, außerdem verriet ein schäbiger,
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