Tödlicher Absturz: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
es sich um die Nummer von Kommissariatsleiter Berger handelte. Stirnrunzelnd warf sie einen Blick auf die Uhr. Kein gutes Omen, dachte sie noch, dann vernahm sie bereits die Stimme ihres Chefs: »Guten Morgen, Frau Durant, und frohes neues Jahr.«
»Danke ebenso. Vermutlich wird es nicht mehr lange so froh bleiben.«
»Ich störe Sie auch nur ungern, aber mit Ermittlern sieht es hier gerade nicht besonders üppig aus, wenn Sie verstehen, was ich meine. Und ab morgen früh sind Sie doch ohnehin wieder im Dienst.«
»Passt schon«, seufzte Julia, »ich bin nur noch nicht richtig angekommen. Aber schießen Sie mal los, umso schneller bin ich wieder drinnen im Alltag.«
»Unbekannte Tote, noch ein ganz junges Ding«, erläuterte Berger knapp, »abgelegt in einem Müllcontainer in der Taunusanlage. Bankenviertel, Sie wissen schon, irgendwo im Hinterhof eines dieser Hochhäuser, wo außer der Putzkolonne kaum jemand hinkommt.« Er gab die genaue Adresse durch und ergänzte dann: »Ich schicke Ihnen Hellmer und irgendjemanden von der Rechtsmedizin, das ganze Programm eben, glauben Sie mir, es ist niemand begeistert, das neue Jahr ausgerechnet so zu beginnen.«
Julia notierte sich Straße und Hausnummer und verabschiedete sich mit den Worten: »In Ordnung, ich bin unterwegs. Geben Sie mir eine Viertelstunde.«
»Schon gut, kein Grund, einen neuen Rekord aufzustellen«, kommentierte Berger mit einem leicht ironischen Unterton. »Hellmer hat gesagt, er braucht eine halbe Stunde, wie gut, dass ich ihn als Erstes angerufen habe. Übrigens, Frau Durant, eine Sache noch«, fügte er hinzu und klang schon wieder ernst und geschäftig.
»Ja?«
»Wir haben zwar Sonntagvormittag, und angesichts der Kälte dürfte sich auch das Laufpublikum eher in Grenzen halten. Aber seien Sie bitte diskret, achten Sie darauf, dass die Kollegen den Tatort vernünftig abriegeln, Sie wissen ja, im Bankenviertel wittert jeder Amateur sofort eine riesige Geschichte.«
»Schon klar«, wehrte Julia ab, »als ob ich den Streifenbeamten ihren Job erklären müsste!«
»Darum geht es nicht. Seien Sie einfach nur vorsichtig. Sie wissen doch, wir haben Kommunalwahlen, da kann ich hier keinen Finger krumm machen, ohne mich irgendwo dafür rechtfertigen zu müssen.«
»Ist ja gut«, lenkte Julia ein. »Ich achte darauf, dass nichts nach außen dringt, und werde den Fall Ihnen zuliebe schnellstmöglich lösen.«
»Ja, genau, ich sehe schon, Sie verstehen mich.«
Kunststück, dachte Julia. Immerhin habe ich lange genug auf Ihrem Platz gesessen.
Es lag kaum ein halbes Jahr zurück, dass Julia Durant für mehrere Wochen kommissarisch seine Funktion hatte übernehmen müssen; ein Bandscheibenvorfall hatte Berger für viele Wochen handlungsunfähig gemacht. Der Innendienst hatte Julia wenig geschmeckt: ständiges Rechtfertigen vor den verschiedensten Abteilungen, die sich um Finanzen und öffentliches Ansehen weitaus mehr zu sorgen schienen als um die Schicksale von Gewaltopfern, die einer schnellen Verurteilung mehr zugeneigt schienen als einer lückenlosen Aufklärung. Glücklicherweise hatte Berger sich schließlich erholt und im September endlich wieder das Ruder übernommen. Denn für Julia Durant gab es nur einen Job, der sie erfüllte: die leitende Ermittlung eines Falles.
Rasch eilte sie vor den Badezimmerspiegel und bürstete das schulterlange, kastanienbraune Haar, welches sich dankenswerterweise nicht allzu widerspenstig zeigte. Mit zusammengekniffenen Augen musterte sie ihr Spiegelbild, doch es gefiel ihr nicht, was sie dort sah. Julia Durant war Jahrgang 1963, ein Novemberkind, das zweieinhalb Wochen vor der Ermordung Kennedys zur Welt gekommen war. Ein Ereignis, welches lange zurück lag, zu viele Jahrzehnte, ja, mittlerweile sogar in einem vergangenen Jahrhundert. »Du brauchst dringend eine Maske«, murmelte sie verdrossen, denn während die gut proportionierte Kommissarin noch eine recht straffe Figur aufweisen konnte, breiteten sich um die Augen unübersehbare Fältchen aus. Seufzend wandte sie sich vom Spiegel ab, schlüpfte aus ihrem Morgenmantel und fröstelte. Der Wetterbericht hatte von minus zehn Grad gesprochen, in der Innenstadt sicher etwas milder, aber dennoch ein eisiger Tag. Selbst in der angenehmen Wärme ihrer Wohnung meinte die Kommissarin bereits den kalten Wind auf den Wangen zu spüren.
Julia Durant hatte die Weihnachtsfeiertage in München verbracht, bei ihrem Vater, der in ihrem Heimatdorf unweit der bayerischen
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