Tödlicher Steilhang
traf Stefan Sauter ein, gerade rechtzeitig, braun gebrannt und bester Laune und mit großen Erwartungen. Darüber, dass seine Frau nicht mitgekommen war, verlor niemand ein Wort, und Georg hütete sich, danach zu fragen.
»Besser als Sie kann man sich gar nicht einleben«, sagte Sauter zu ihm und umarmte Georg herzlich. »Ich bin über alles bestens im Bilde, wozu hat man schließlich seine Informanten.«
Georg fragte sich, wer gemeint war, aber niemand zeigte eine Regung. Bischof? Frau Wackernagel? Georg sah in keinem der Gesichter eine Antwort. Dann wussten alle mehr als er. Zu seiner Zeit als Geschäftsführer (meine Güte, wie lange war das her?) hatte er immer mit allen gesprochen, damit sich die Bilder nicht in eine bestimmte Richtung hin verdunkelten oder aufhellten.
Alle wollten sofort gemeinsam in die Weinberge, um Sauter vor Ort den Leseplan vorzustellen und sein Urteil zu hören. Georg bat um fünf Minuten Aufschub, ohne seine Bergstiefel ging er nicht mehr in den Steilhang.
Im Apartment angekommen griff er in alter Gewohnheit nach Mobiltelefon 1, es lag auf der Kommode. Er schaltete es ein. Auf dem Display erschien seine Privatnummer in Hannover. Das bedeutete nichts Gutes, ihm wurde schlagartig übel. Nur Miriam würde diese Nummer benutzen. Georg hörte sofort die Nachricht auf der Mobilbox ab.
»Rose ist von der Schule nicht nach Hause gekommen. Hier steht alles Kopf! Und du drückst dich vor der Verantwortung, dich interessieren deine Kinder einen Dreck.« Ihre Stimme überschlug sich, sie kreischte geradezu hysterisch.»Wir haben den ganzen Weg von der Schule nach Hause abgesucht. Die Schule ist informiert, die Lehrer, die Polizei. Jasmin hatte eine Stunde länger Unterricht, Rose hat nicht auf sie gewartet. Niemand weiß, wo sie steckt. Wir telefonieren jetzt alle Schulfreundinnen ab. Ruf an, ruf sofort an! Wenn du dich nicht so beschissen aufführen würdest, wäre mein Kind nicht in Gefahr!«
Georg wurde heiß, ihm wurde schwindlig, er hielt sich am Tisch fest und starrte auf das Gerät in seiner Hand. Hatte Miriam sich was Neues einfallen lassen, um ihn fertigzumachen? Oder stimmte, was sie sagte? Was war passiert? Hatten sich die Kinder nach Schulschluss vertrödelt?
Jeden anderen Gedanken wehrte er ab, drängte ihn geradezu gewaltsam aus seinem Kopf und sah auf die Uhr. Zwei Uhr war vorbei. Sie hätte, wenn die fünfte Stunde die letzte gewesen war, längst zu Hause sein müssen. Georg zwang sich, ruhig zu atmen, und er kämpfte gegen Bilder, gegen Schlagzeilen, die sich unweigerlich nach vorn drängten. Er nahm das BlackBerry und rief Roses Freundin Kathrin an, er versuchte, seine Stimme unaufgeregt klingen zu lassen, dabei zitterte er innerlich.
Sie wusste von nichts, sie schien gelassen, sie und Rose hätten wie immer nach der fünften Stunde die Schule verlassen, nein, sie seien nicht zusammen gegangen, weil sie selbst später zum Geigenunterricht wollte.
Georg versuchte, sie in ein Gespräch zu ziehen, ob irgendetwas ungewöhnlich gewesen sei, ob Rose etwas gesagt habe, ob sie abgeholt worden sei. Direkt durfte er nicht fragen, um sie nicht auch nervös zu machen, aber als Kathrin dann fragte, warum er so aufgeregt sei, merkte er, dass es misslungen war.
Doch sie beruhigte ihn. »Wir haben über so was alles gesprochen, mit meinen Eltern und auch in der Schule, niemals mit jemandem mitzugehen. Sie können sich auf Rose verlassen, Herr Hellberger, Rose ist doch nicht blöd. Sie weiß, was sie tut. Machen Sie sich keine Sorgen.«
Wie ernst konnte er die Worte einer Elfjährigen nehmen? Wenn es sich nicht um ein Verbrechen handelte, dann … Er dachte an Baxter, die Hitze wich, und ihm wurde kalt. Baxter? Hatte er Entführer losgeschickt, etwa seine Wächter? Auf keinen Fall welche von COS. Für derartige Aktionen brauchte man Kriminelle.
Seine Tochter als Faustpfand für die Europastrategie des Sicherheitskonzerns, der sich in die Macht einarbeitete? Wer Kinder hatte, war verletzbar, war erpressbar. Für Rose würde er jedes Dokument rausrücken, alles, aber danach würde er sich Baxter holen – und da Baxter niemals etwas nachzuweisen sein würde, würde auch er es so anstellen, dass ihm niemals etwas nachzuweisen sein würde. Damit schlug seine Angst in Hass um, und der bekam ein Ziel, aber er merkte, was in ihm geschah. Es ging nicht um ihn oder um Baxter, es ging darum, Rose zu finden. Georg überwand sich und rief Miriam an.
Sie beschimpfte ihn, sie tobte, sie zeterte,
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