Toedlicher Sumpf
meinen Blusen, die zu eng sind und zu rot. Die damenhaften, dezent gestylten Frauen um mich her haben nichts übrig für meinen großzügig aufgetragenen schwarzen Eyeliner, mein braunes Lipgloss und die goldenen Kreolen, die auch um mein Handgelenk passen würden.
Dem Chef mit »Was zur Hölle soll das?« zu kommen, ist in meiner Position nicht das Schlaueste.
Baileys Lächeln hat sich in einen verkniffenen dünnen Strich verwandelt.
Ich versuche mich herauszureden. »Jetzt mal ehrlich, Bailey. Die Registrierung von Sexualstraftätern? Das ist kein aktuelles Thema. Das ist Gesellschaft, Psychologie, ›Von Mensch zu Mensch‹, irgend so was.«
»Was redest du da? Über tausend Sexualstraftäter in der Stadt. Der Sturm kommt, die tauchen unter. Mehr als die Hälfte bleibt verschwunden. Das ist eine Story.«
»Eine Story vielleicht. Aktuell? Nein.« Frustriert fahre ich mir mit einer Hand durchs Haar. »Ganz im Ernst, Bailey. Du kannst mir nicht erzählen, dass unsere Leser sich für das Schicksal von ein paar Perversen interessieren.«
»Unsinn«, sagt er. »Jeder dieser Typen könnte dein Nachbar sein. Was bedeutet das für Leute mit Kindern? Oder für Frauen, die nachts allein sind? Das ist ein wichtiges Thema.« Wir starren einander an.
Was ist das eigentlich für ein Chefredakteur, der eine jungeFrau auf so eine Sache ansetzt? Soll das vielleicht ein besonders abgedrehter Test sein? Will er sehen, ob ich tough genug bin, um mich unter den Jungs in der Nachrichtenredaktion zu behaupten? Ich beiße die Zähne zusammen und höre im Geiste Tante Helene sagen: Lass dir von niemandem Reste andrehen . Langsam stehe ich auf.
Stütze eine Hand in die Hüfte und strecke ihm seine Mappe wieder hin. Er greift nicht zu. Seine Stimme ist leise, ein ärgerliches Knurren. »Was ist verdammt noch mal los mit dir? Du wolltest ein aktuelles Thema.«
»Bei allem Respekt, Sir, das ist ein Frauenthema. Eltern und Kinder. Lifestyle. Ganz klar.« Alle starren mich an. »Mit ›aktuell‹ habe ich gemeint: Katrina-Folgen. Verbrechen. Gericht. Rathaus.«
»Hier geht’s um Verbrechen.«
»Nein. Hier geht’s um die Angst vor Verbrechen, die noch gar nicht begangen worden sind. Ich dachte, wir gießen kein Öl ins Feuer.«
»Noch mal frage ich dich nicht. Dann gebe ich die Story eben jemand anderem.«
»Sieht so aus, als hätte jemand anders sie schon hingeschmissen«, entgegne ich. »Sir.« Ich finde selbst, dass ich mich etwas zu kampfeslustig anhöre. Um uns her breitet sich tödliche Stille aus.
Baileys Augen allerdings wirken plötzlich nur noch müde.
»Es war Jim Larkins Story«, sagt er. Scheiße, Nola, voll daneben! Caleb Larkin ist acht Jahre alt und kahlköpfig. Auf dem Empfangstresen steht eine Kaffeedose mit einem Foto von ihm, das jeder hier kennt. Wir haben alle ein paar Dollar gespendet, um die Familie beim Bezahlen der Arztrechnungen zu unterstützen. Dollars allein haben, wie sich herausgestellt hat, nicht gereicht. »Er wollte Zeit für seinen Sohn haben«, sagt Bailey.
»Tut mir leid«, erwidere ich. »Das wusste ich nicht.«
»Hör zu, Nola. Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit.« Er hatdiesen etwas scharfen Ton wie sonst auch, wenn er sich von jemandem genug dummes Zeug angehört hat. »Gibt es irgendeinen Grund, warum du nicht in der Lage sein solltest, objektiv an diese Story heranzugehen? Wenn nicht, weise ich dich nämlich einfach an, sie zu schreiben.« Er fixiert mich. Alle beobachten uns. »Also? Irgendwelche Gründe?«
Und damit ist die Sache besiegelt.
»Nein, Sir«, sage ich. »Es gibt keinen. Keinen einzigen.«
Jetzt ist es meine Story.
In der Nachrichtenredaktion, dem großen, fensterlosen grauen Raum, wo es um die harten Fakten geht, dimmen sie das Licht, um die Augen zu schonen; dort ist es immer dunkel und kühl, die Atmosphäre gedämpft, ernst: Lokales, Geld, Bildredaktion, Schlussredaktion. Die Grafik und die Büros von Textchef und Chefredaktion reihen sich an einer der Wände aneinander. Um mir diesen Auftrag zu erteilen, hat Bailey einen ziemlich weiten Weg zurückgelegt.
Das Ressort Leben & Mehr, wo ich arbeite, ist eine andere Welt. Durch zwei komplett verglaste Wände fällt natürliches Licht herein. Meine Kollegen haben Familienfotos auf dem Schreibtisch stehen, auf den Computerbildschirmen thronen lustige Stofftiere. Und genauso sonnig und seicht sind unsere Storys; die Leute lesen sie, um sich in Sachen Unterhaltung und Lifestyle zu informieren. Bei uns liegt zwar der
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