Die Asklepios Papiere (German Edition)
Prolog
D ie Hitze war bereits in den frühen Morgenstunden unerträglich. Ein großes weißes Zeltdach auf dem Vorplatz der Klinik sollte ein wenig Schutz vor der unerbittlich brennenden Sonne Afrikas bieten. Doch selbst in dessen Schatten konnte man kaum atmen.
Dr. Nayigad, der Leiter des kleinen Dorfhospitals in Chivu, einem Ort mit rund 10.000 Einwohnern mitten im Herzen Simbabwes, saß an seinem improvisierten Arbeitsplatz unter dem Zeltdach. Er überarbeitete eine Rede, die er morgen vor rund fünfzig internationalen Besuchern, größtenteils Sponsoren der Klinik, halten wollte. Er überflog erneut die Zeilen:
„ Laut offiziellen Statistiken ist Afrika südlich der Sahara die weltweit am schwersten von der HIV-Epidemie betroffene Region. Fast zwei Drittel aller HIV infizierten Menschen leben dort. In 2007 kam es hier zu 75 % aller weltweiten HIV bedingten Todesfälle.
In der Liste der am stärksten vom HI-Virus betroffenen Länder nimmt unser Land Simbabwe die Spitzenposition ein. 14,5 % der Bevölkerung Simbabwes sind mit HIV infiziert. Pro Jahr haben wir rund 80.000 Todesopfer zu beklagen. Und das bei einer Landesfläche, die in etwa der Größe von Deutschland und den Niederlanden entspricht.“
Aber Dr. Nayigad konnte sich nicht richtig konzentrieren. Er musste immer wieder an die Daten aus dem aktuellen Quartalsbericht denken. Seine Klinik kümmerte sich hauptsächlich um die Versorgung von einheimischen HIV-Infizierten. Innerhalb der letzten drei Jahre hatten seine Bemühungen, insbesondere auch durch die von ihm initiierten kostenlosen Sprechstunden in den Dörfern, erste Früchte getragen. Die Zahl der Neuinfektionen war spürbar zurückgegangen.
Merkwürdigerweise liefen die neuesten Zahlen von Dr. Bernadette LeBoef diesem Trend jedoch eindeutig und unerklärlich zuwider. Dr. LeBoef war eine ganz ausgezeichnete junge Kollegin, die seit mehr als einem Jahr für ihn arbeitete. Sie war bei einem internationalen Pharmaunternehmen beschäftigt und für die Dauer von zwei Jahren als personelle Verstärkung im Rahmen eines Sponsoring-Vertrages für ihn tätig.
Bislang leistete Dr. LeBoef hervorragende Arbeit. Dr. Nayigad hatte ihr deshalb sogar die Leitung der offenen Sprechstunde sowie der dazugehörigen Krankenstation anvertraut. Doch im letzten Quartal hatte sich die Anzahl der Neuinfektionen aus unbekannten Gründen mehr als vervierfacht. Statt der üblichen zwanzig bis dreißig Personen waren plötzlich und unerklärlich weit mehr als hundert neue HIV-Fälle in Dr. LeBoefs Statistiken verzeichnet. Er musste unbedingt mit ihr sprechen, sobald sie heute Abend von ihrem freien Tag wieder zurück in der Klinik war, wo sie wie alle Gastärzte für die Zeit ihres Aufenthalts ein kleines Appartement bewohnte. Der Klinikleiter trank ein Schluck Wasser, um die Hitze etwas erträglicher zu machen. Es musste einfach eine plausible Erklärung für diese Zahlen geben.
Wie sich später herausstellen sollte, wartete Dr. Nayigad vergeblich auf Bernadette LeBoef. Ohne jemanden zu informieren hatte die junge Ärztin nämlich nach Abschluss ihrer klinischen Studien, die dem Klinikleiter völlig verborgen geblieben waren, unbemerkt sämtliche Unterlagen zusammengepackt und Chivu auf dem schnellsten Wege verlassen.
Während sich Dr. Nayigad in der Hitze der untergehenden simbabwischen Sonne spät am Abend auf die Suche nach seiner Gastärztin von Pharmaceutical Solutions Universal machte, saß Dr. LeBoef mittlerweile in einer Boeing 737 und flog zurück nach Frankreich.
Tag 1- Dienstag / mardi
1.
D as Mobiltelefon klingelte mitten in der Nacht. Er blickte auf den Radiowecker neben seinem Bett: 0.50 Uhr. „Verdammt, wer störte um diese Uhrzeit?“, dachte er grimmig und ging ran.
„ Salut.“
„ Chinois?“, fragte eine männliche Stimme.
Chinois, das war sein Spitzname aus einer längst vergangenen Zeit. Doch für seine alten Freunde und Geschäftspartner war er noch immer Der Chinese .
Damals, als er noch in der Banlieue , den Vororten von Paris, lebte und sich jeden Tag aufs Neue auf den Straßen von Clichy-sous-Bois beweisen und ums schlichte Überleben kämpfen musste, hatte er diesen Namen erhalten. Nicht etwa, weil er asiatischer Abstammung war. Nein, sondern weil er kämpfte wie ein Asiate. Chinesisches Kung-Fu war seine Waffe und er selbst ein gefürchteter Straßenkämpfer.
Auch wenn er mittlerweile der Banlieue entkommen war und in einer relativ noblen Wohnung im Pariser
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