Toedliches Erbe
eindeutig ihre Vitalität – irgendwie erinnerte sie an eine skandinavische Königin oder an eine Amazone, schien aber zugleich darüber zu lachen, als genösse sie die Unvereinbarkeit zwischen ihrem Aussehen und ihrem Wesen. Auf dem Bild lachte sie nicht, aber das Gelächter war nicht weit, und wenn es hervorbräche, dann wäre es ein Lachen über sich selbst. Wer das wohl gemalt hat, dachte Kate als erstes, und danach erst fragte sie sich, wen es wohl darstelle.
Sie fragte Max, der ihr langsam die Treppe hinauf gefolgt war und sich gründlich umschaute. »Keine Spuren von Einbrechern«, sagte er. »War offenbar ein Scherz. Aber ich bringe besser alle Papiere in Sicherheit, wenn wir schon hier sind. Das?« fragte er, als ihm Kates Frage wieder einfiel. »Der Künstler ist berühmter als sein Modell, deshalb ist es heutzutage ein recht wertvolles Porträt.« Er nannte den Namen des Malers. »Natürlich war er noch ziemlich unbekannt, als er es malte. Sein Modell? Sie hieß Whitmore. Dorothy Whitmore. Keine besonders eindrucksvolle Schriftstellerin; sie ist jung gestorben. Sie war zusammen mit Cecily in Oxford.«
»Aber ich habe von ihr gehört«, sagte Kate. »Tatsächlich hat eine von meinen…«
»Ich vergesse immer wieder«, sagte Max lächelnd, »daß britische Literatur des vergangenen und der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts schließlich Ihr Spezialgebiet ist.«
»Einer ihrer Romane war ein großer Erfolg. Er ist sogar verfilmt worden.«
»Leider postum. Das arme Kind. In ihrem Testament vermachte sie alle Einnahmen aus ihren Werken dem Stipendienfonds ihres Oxford-College, und das Bild hinterließ sie meiner Mutter, die es 21
dann Cecily vererbte.«
»War Ihre Mutter auch in Oxford?«
»O ja. Vor Ihnen steht der Sohn einer der ersten Frauen, die Oxford mit einem akademischen Grad verlassen haben. Gott sei Dank hat meine Mutter nicht besonders akademisch gewirkt. Man kann seiner Mutter nur dann eine Jugend als Blaustrumpf verzeihen, wenn sie gleichzeitig intelligent genug war, den jüngeren Sohn des jüngeren Sohnes eines Herzogs zu heiraten. Was sie, wie ich zu meiner Freude sagen darf, auch tat.«
»Max, Sie sind ein Snob – wie entzückend, und das heutzutage.«
»Kein Snob, meine Liebe, nur ein wählerischer Mensch. Nicht wählerischer als so ein ungewaschener Revolutionär, der auch nur die Gesellschaft derer sucht, die so riechen wie er. Ihre Papiere be-wahrte sie hier auf.«
»Hier« war ein nur auf Zweckmäßigkeit angelegter Raum mit feuerfesten Schränken. Max öffnete einen und gab den Blick frei auf Reihen von Ordnern, die, wie er Kate erklärte, die Korrespondenz eines langen Lebens enthielten, außerdem erste Entwürfe und Origi-nalmanuskripte. All das hatte Cecily aufbewahrt, weil sie zu Recht glaubte, es repräsentiere ein seltenes Bild ihrer Zeit.
»Seltsam«, sagte Kate, »daß sie, obwohl sie soviel Wert auf ihren privaten Bereich legte, alles so sorgfältig aufgehoben hat – denken Sie an das Tor, das abgelegene Haus, all das. Man sollte meinen, ein Freudenfeuer auf dem Rasen à la Henry James oder Dickens hätte besser zu ihr gepaßt.«
»Das stimmt«, sagte Max. »Tatsächlich habe ich früher auch alles versucht, sie davon zu überzeugen. Ihre Antwort war seltsam typisch. >Hätte ich gewußte, sagte sie zu mir, als wir unten zusammen-saßen, ›daß die Briefe anderer Leute derart zu einem Fetisch werden würden, hätte ich jeden Brief vernichtet, sowie ich ihn beantwortet habe. Aber wenn ich sie jetzt vernichte, wäre die Folge, daß nur meine Hälfte der Korrespondenz erhalten bliebe. Ich will weder Dickens noch James, die ich beide so sehr verehre, irgendwelche finsteren Motive unterstellen, aber es muß für sie eine gewisse Befriedigung gewesen sein, unangenehme Vorwürfe in Briefform für immer den Blicken der Menschheit zu entziehen, vor allem, wenn man weiß, daß sie absolut grundlos waren.‹ Ich erinnere mich, wie sie dabei auf das Meer hinausschaute. ›Weißt du, Max‹, sagte sie,
›ich habe in einer Zeit großer Veränderungen gelebt. Der Erste Weltkrieg, die ersten akademischen Würden für Frauen in Oxford, 22
die Jahre zwischen den Kriegen, als ich – unterschiedlich eng – mit Mitgliedern der Bloomsbury Group befreundet war, Schriftstellerinnen wie Rose Macaulay und Elizabeth Bowen, ganz zu schweigen von der gesamten Friedensbewegung. Lowes Dickinson, die Hoff-nungen auf den Völkerbund… Ich muß zugeben, daß das alles eine Sammlung von
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