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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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Probierstein besitze, womit ich die wahre von der falschen unterscheiden könnte.
    Wenn dieser Zug in Doktor Blifils Charakter Herrn Alwerth gefiel, so entzückte er Fräulein Brigitta. Sie ließ sich in manchen Religionsstreit mit ihm ein, bei welchen Gelegenheiten sie beständig eine große Zufriedenheit über des Doktors Gelehrsamkeit äußerte, und keine viel geringere über die Komplimente, die er ihr öfters über ihre eigene machte. Die Wahrheit zu sagen, so hatte sie viel theologische Bücher in ihrer Muttersprache gelesen und mehr als einem benachbarten Pfarrer was zu schaffen gemacht. In der That war ihre gesellschaftliche Unterhaltung so rein, ihr Blick so unschuldig, und ihr ganzes Betragen so feierlich und ernsthaft, daß sie den Geruch der Heiligkeit ebensogut verdiente, als jene, von der sie den Namen führte, oder als irgend eine Heilige im
römischen
Kalender.
    So wie Sympathien aller Art gerne Liebe gebären, so lehrt uns auch die Erfahrung, daß keine unter allen so geradezu auf diese Erzeugung hinwirkt, als Sympathien von religiöser Art zwischen Personen von verschiedenem Geschlechte. Der Doktor fand, er sei dem Fräulein Brittjen so angenehm, daß er jetzt anfing, einen unglücklichen Zufall, der ihm vor ungefähr zehn Jahren begegnet war, zu beklagen; nämlich seine Heirat mit einer andern Frau, die nicht nur noch wirklich am Leben, sondern was noch schlimmer, dem Herrn Alwerth als noch lebend bekannt war. Dies war ein verwünschter Riegel gegen die Glückseligkeit, welche er sonst bei dieser jungen Dame zu erlangen hinlängliche Wahrscheinlichkeit sah; denn was sträfliche Lüste und Begierden anbelangt, die stiegen gewiß nicht bei ihm auf. Und dies war entweder die Wirkung seiner Religion, wie sehr wahrscheinlich ist, oder der Reinheit seiner Leidenschaft, welche auf solche Dinge gerichtet war, wozu ihm allein der [40] Ehestand und keineswegs ein strafbares Liebesverständnis verhelfen oder ein Recht geben konnte.
    Er hatte nicht lange über diese Sache nachgegrübelt, als er sich erinnerte, daß er einen Bruder habe, dem diese böse Unfähigkeit nicht anklebte. Er zweifelte nicht, es würde diesem Bruder glücken; denn er glaubte zu bemerken das gnädige Fräulein sei nicht ohne Neigung zum heiligen Ehestande, und der Leser wird vielleicht, wenn er die Eigenschaften des Bruders vernimmt, die Zuversichtlichkeit nicht tadeln, womit er seinem Bruder einen guten Ausgang prophezeite.
    Dieser Herr war ungefähr fünfunddreißig Jahre alt. Er war von mittlerer Statur, und das, was man wohlgebaut nennt; er trug eine Narbe an der Stirn, welche weniger seiner Schönheit schadete, als von seiner Tapferkeit zeugte (denn er war Offizier und stand auf halbem Sold), er hatte gute Zähne, und wenn er wollte etwas Freundliches in seinem Lächeln. Obgleich von Natur sein Anstand, seine Mienen und sein Blick viel Rauhes hatten, so konnt' er doch dieses Rauhe jede Minute ablegen und ganz freundlich und wohlaufgeräumt scheinen. Es mangelte ihm nicht an guter Lebensart, auch nicht völlig an Witz, und in seiner Jugend hatte er manchen lustigen Streich vollführt; nun hatte er zwar seit kurzem einen ernsthafteren Charakter angenommen, aber wenn er wollte, konnte er wieder spaßhaft genug sein.
    Er hatte ebenso wie der Doktor eine akademische Erziehung gehabt, denn sein Vater bestimmte ihn, aus eben der väterlichen Macht und Gewalt, deren wir vorhin erwähnt haben, zum geistlichen Stande. Da aber der alte Herr das Zeitliche segnete, bevor der Sohn ordiniert war, so wählte er Degen und Kokarde für Mantel und Kragen, und zog ein Offizierpatent vom Könige der Vokation zu einem Pfarrdienst vor.
    Er hatte sich eine Leutnantsstelle unter den Dragonern gekauft, und brachte es hernach bis zum Kapitän. Weil er aber mit seinem Oberst Händel anfing, ward er genötigt seine Kompanie zu verkaufen, von welcher Zeit an er denn ein völliges Philisterleben geführt, sich aufs Lesen der heiligen Schrift gelegt hatte, und wegen eines Hanges zur Pietisterei eben nicht verdächtig war.
    Es schien daher nicht unmöglich, daß ein solcher Mann bei einer Dame von so gottesfürchtiger Gesinnung, und deren Herz, außer einem Zuge zum heiligen Ehestande, überhaupt von keiner Sympathie zu einem besondern Gegenstand gefesselt war, sein Glück machen würde; warum aber der Doktor, der gewiß keine große Freundschaft für seinen Bruder hegte, doch seinetwegen darauf dachte, die Gastfreundschaft des Herrn Alwerth mit solchem Undank zu

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