Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
seinem Onkel allein war und dieser irgend einen guten Gedanken über die Religion oder die Tugend lobte, (und in Anführung solcher Gedanken war Blifil stark) so ermangelte er selten, solchen dem guten Unterrichte zuzuschreiben, den er entweder von Schwöger oder von Quadrat empfangen hätte: denn er wußte, sein Onkel sagte alle solche Komplimente den Personen wieder, für deren Gebrauch sie eigentlich angefertigt waren, und die Erfahrung lehrte ihn den tiefen Eindruck, welchen sie auf den Philosophen sowohl als auf den Theologen machten; denn es ist eben keine unbekannte Wahrheit, daß keine Schmeichelei so unwiderstehlich ist, als die aus der zweiten oder dritten Hand.
Der fromme Jüngling merkte überdem auch bald, wie herzlich angenehm alle diese Lobreden auf seine Lehrer dem Herrn Alwerth selbst waren, weil sie zugleich das Lob des besondern Erziehungsplans widerhallten, den er entworfen hatte. Denn dieser Mann, dem die Unvollkommenheit unserer öffentlichen Schuleinrichtungen [106] nicht entgangen war und der wußte, wie manchen Verführungen die Knaben darin ausgesetzt sind, hatte beschlossen, seinen Neffen sowohl als den andern Knaben, den er gewissermaßen an Kindesstatt aufgenommen hatte, in seinem eigenen Hause zu erziehen, weil er glaubte, hier würden ihre Sitten unschuldiger und vor allen Gefahren der Verführung, die auf öffentlichen Schulen und Universitäten herumschleichen, gesichert bleiben.
Nachdem er also beschlossen hatte, die Knaben der Aufsicht eines eigenen Hauslehrers zu übergeben, ward ihm zu dieser Stelle Herr Schwöger von einem sehr guten Freunde empfohlen, von dessen Verstande Herr Alwerth eine hohe Meinung hatte und in dessen Redlichkeit er ein großes Vertrauen setzte. Dieser Schwöger lebte seit einiger Zeit auf einer Universität und stand in sehr gutem Rufe wegen seiner Gelehrsamkeit, Religion und sehr anständigen Sitten. Und dies waren ohne Zweifel die Eigenschaften, welche Herrn Alwerths Freund vermocht hatten, ihn bestens zu empfehlen, obgleich dieser Freund aus der Schwögerischen Familie einige Verbindlichkeiten hatte, weil sie aus den angesehensten Personen eines kleinen Marktfleckens bestand, den dieser Herr im Parlamente repräsentierte.
Schwöger war bei seiner ersten Ankunft dem Herrn Alwerth sehr angenehm: und er entsprach auch wirklich dem Zeugnisse, das man ihm gegeben hatte. Bei längerer Bekanntschaft und genauerem Umgang mit ihm sah indes dieser würdige Mann Schwachheiten an dem Lehrer, wovon er ihn frei zu sein gewünscht hätte; da solche gleichwohl von seinen guten Eigenschaften merklich überwogen zu werden schienen, so ließ sich Herr Alwerth dadurch nicht bewegen, ihn wieder zu entlassen, sie wären auch wirklich nicht hinreichend gewesen, ein solches Verfahren zu rechtfertigen. Denn der Leser irrt sich gewaltig, wenn er meint, Schwöger sei dem Herrn Alwerth in eben dem Lichte erschienen, in welchem er ihm selber in dieser Geschichte dargestellt ist, und ebenso sehr irrt er sich, wenn er sich einbildet, die genaueste Bekanntschaft, welche er mit diesem Geistlichen hätte haben können, würde ihn von diesen Dingen unterrichtet haben, welche wir durch unsere Inspiration fähig gemacht sind, zu offenbaren und zu enthüllen. Von solchen Lesern, die aus dergleichen voreiligen Einbildungen die Weisheit und Einsicht des Herrn Alwerth gering schätzen, mache ich mir kein Bedenken, zu sagen, daß sie einen sehr schlechten und undankbaren Gebrauch von der Kenntnis machen, die wir ihnen mitgeteilt haben.
Diese scheinbaren Irrtümer in Schwögers Lehrsätzen dienten großenteils dazu, die entgegengesetzten Irrtümer in den Lehrsätzen des Herrn Quadrat unschädlicher zu machen, die unser würdige [107] Mann nicht weniger sah und mißbilligte. Er dachte in der That, die verschiedenen wilden Auswüchse dieser beiden Männer würden ihre gegenseitigen Unvollkommenheiten verbessern und von beiden mit seinem Beistande vornehmlich würden die beiden Knaben hinreichenden Unterricht zur wahren Religion und Tugend genießen. Wenn der Ausgang seiner Erwartung gar nicht entsprach, so lag das vielleicht an einem Fehler in dem Plane selbst, den der Leser meine Erlaubnis hat, zu entdecken, wenn er kann: denn wir maßen uns nicht an, irgend einen unfehlbaren Charakter in dieser Geschichte aufzuführen, in welcher man, wie wir hoffen, nichts finden soll, welches bis dahin in der menschlichen Natur noch niemals ist gesehen worden.
Also wieder zur Sache! Der Leser wird, denke
Weitere Kostenlose Bücher