Erzählungen
Der
Totschläger
»Hund, elendiger Hund!«
Und dann kam noch ein furchtbarer Fluch durch die niedere
Stube geprallt. Der fiel aber aus keinem wutvergeiferten Mund, sondern
aus einer wie zu einem Stein zornverkrampften Faust und war ein
schrecklicher Hieb, der einen blonden, eisenharten Schädel wie eine
leere Zigarrenkiste einschlug.
Als der kräftige junge Männerkörper auf die öldurchtränkten,
trittezerkerbten Steinfliesen des Werkgasthauses, des ehemaligen alten
Maschinenhauses, hinschlug, schwerplumpsig wie ein voller
Kartoffelsack, kam es Franz Scheiblechner, dem Faustschwinger, zum
aufrüttelnden Bewußtsein, daß er einen Menschen totgeschlagen, also ein
Mörder geworden war.
Eine atemdrosselnde, schwarze Hülle warf sich über sein bisher
so frohes, zufriedenes Arbeiterleben. Einen Augenblick lang fühlte er
sich in einem stählernen Sarg liegen, an dessen Deckel sich seine
lebenshungrige Jugend vergeblich wundstieß.
Dann weitete sich vor seinen entsetzten Augen die enge,
tabakqualmerfüllte Wirtsstube zu einem mächtigen Raum, der erfüllt war
von einer Unzahl Menschen, die alle Blicke voll Abscheu und Haß für ihn
hauen, mit den Fingern auf ihn wiesen und anklagend ihn anheulten.
»Mörder!«
So litt er schon jetzt zwiefachen Tod: den der Gerechtigkeit
und den der Schande für seine Tat.
Und es kam noch der Tod der Rache dazu.
Denn es schrumpften auf einmal all die vielen Menschen vor ihm
zu einer knöchernen Faust zusammen, die spannte sich um seinen Hals,
und er hörte die Stimme des von ihm Erschlagenen im Weltall dröhnen:
»Mörder!«
Eine klagende Frauenstimme riß ihn aus seiner ihn
hinrichtenden Betäubung.
»Franz, Franz! Heiliger Gott, was hast denn getan? Schau nicht
so wild, ich bin's ja, dein Annerl !«
Seine Braut war es, die ihn ins Gesicht klagte. Ihre ihn
aufrüttelnden Worte voll Herzweh und fragender wie auch schon wissender
Verzweiflung rissen ihn unbarmherzig über den rotglühenden Rost des
Geschehenen.
Und er wachte auf zu tierischer Selbsterhaltung. Aus der
brennenden Not seiner Seele schrie er mit brutaler Härte das weinende
Mädchen an.
»Weil der Hundskerl, der Fallot, meine Maschin schimpfiert
hat, hab ich ihm eine feste aufs Dachl geben !«
Darauf ließ er sich ruhig von der erschienenen Polizei
abführen.
Der Maschinenwärter Franz Scheiblechner und der
Transmissionenaufseher Ferdinand Gruber, beide in der großen
Jutespinnerei angestellt, waren seit Jähr und Tag gute Freunde gewesen.
In der ewig nebligen, feuchtheißen Dampf- und Ölschwüle des
geräumigen Maschinenhauses hatten sie sich kennen- und schätzengelernt
und die Brücke getreulicher Freundschaft in die fröhlichere Atmosphäre
der Gassen, Vorstadtgärten und Gasthäuser hinübergespannt.
Über diesen wohlgebauten Brückensteg war dann im Laufe der
Zeit von den zwei Freunden schon manche frohe, glückliche Stunde, gar
mancher Trost in ihr für gewöhnlich so graues, mit Verdrießlichkeiten
und Enttäuschungen aller Art vollbeladenes Arbeiterleben getragen
worden. Nach Anbruch der abendlichen Feierzeit und an den freien Sonn-
und Feiertagen sah man die beiden ebenso beisammen wie in der Fabrik,
in der sie durch ihre Beschäftigung zumeist immer in Berührung standen.
Wie Maschine und Transmission, so schienen Scheiblechner und Gruber
untrennbar zu sein.
Keiner besuchte ohne den anderen eine festliche Veranstaltung,
machte ohne den anderen an der Seite einen Ausflug in die Umgebung der
Stadt. In jeder Wählerversammlung, Werkstättenbesprechung und anderen
Zusammenkünften der Arbeiter sah man die beiden Freunde nebeneinander
sitzen oder stehen, immer für die gleiche Meinung sich einsetzend, die
in ihnen beinahe die gleichen Worte bei den Auseinandersetzungen mit
den Kameraden weckte. Lachen und Schimpf für die Erscheinungen ihres
Daseins kam aus ihnen in seltener Eintracht nach einem rätselhaften
Gesetz. Sah man an einem regnerischen Sonntagnachmittag den langen,
stricknadeldünnen Gruber Ferdi in der verrauchten Extrastube des
kleinen Vorstadtkaffeehauses die blanken, federweißglänzenden
Tarockkarten schwingen, so konnte man eine todsichere Wette eingehen,
daß einer seiner drei Spielpartner der Maschinenwärter Scheiblechner
war.
Der saß dann immer mit seinem klobigen, kräftig untersetzten
Knochen- und Muskelpostament seinem leibschmächtigen Freund gegenüber
und lächelte mit fettglänzendem Ölkannengesicht beruhigend und
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