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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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ich, sich nicht darüber wundern, daß das verschiedene Betragen der beiden Zöglinge die verschiedenen Wirkungen hervorbrachte, wovon wir bereits einige Proben gesehen haben, und nebenher gab es noch eine andere Ursache für das Benehmen des Philosophen und des Pädagogen. Da dies aber eine Sache von großem Belang ist, so wollen wir solche im nächsten Kapitel entwickeln.

Sechstes Kapitel.
    Entwickelt eine noch triftigere Ursach der vorerwähnten Meinungen.
     
    Sei es also hierdurch kund gethan, daß diese zwei gelehrten Männer, welche seit einiger Zeit eine ansehnliche Rolle auf der Schaubühne dieser Geschichte gespielt haben, von dem ersten Eintritt in Herrn Alwerths Haus an, eine so große Zuneigung, der eine zu seiner Religion, der andere zu seiner Tugend, gefaßt, daß sie mit ihm in die genaueste Verbindung zu treten beabsichtigt hatten.
    Zu diesem Endzweck hatten sie ihre Augen auf jene holde Witwe geworfen, welche, ob wir gleich derselben seit einiger Zeit gar keine Meldung gethan, der Leser, wie wir hoffen, nicht vergessen haben soll. Madame Blifil war wirklich das Kleinod, nach dem sie beide rangen.
    Es mag sonderbar scheinen, daß von vier Personen, deren wir in Herrn Alwerths Hause gedacht haben, ihrer drei mit ihrer Neigung auf eine Dame verfielen, die niemals wegen ihrer Schönheit sehr berühmt gewesen war und welche jetzt noch überdem auf der Stufenleiter der Jahre schon ein wenig herabstieg. Nach That und Erfahrung aber haben Busenfreunde und genaue Bekannte eine [108] Art von natürlichem Hange gegen besondere weibliche Personen in dem Hause eines Freundes, als nämlich: gegen dessen Großmutter, Mutter, Schwester, Tochter, Tante, Nichte und Base, wenn sie reich sind, und gegen seine Frau, Schwester, Tochter, Nichte, Bäschen, Maitresse, oder Nähterin oder Stubenmädchen, wenn sie hübsch sein sollten.
    Wir möchten indessen unsre Leser nicht zu der Meinung verleiten, als hätten Personen von solchem Charakter, als Schwöger und Quadrat in der Welt vorstellten, sich einer Sache unterziehen wollen, welche von einigen strengen Moralisten fast ein wenig gemißbilligt worden ist, ehe und bevor sie solche nicht von allen Seiten untersucht und überlegt gehabt, ob es, wie Shakespeare sagt:
     
    »Stuff o' th' Conscience«
     
    (Gewissensstoff) sei oder nicht. Schwöger ward zu der Unternehmung durch die Betrachtung aufgemuntert, daß es nirgends verboten ist, die Schwester unsers Nächsten zu begehren, und er wußte die juristische Regel:
»Expressum facit cessare Tacitum«,
welche so viel sagen will: »Wenn ein Gesetzgeber seinen ganzen Sinn deutlich ausdrückt, so sind wir nicht befugt, ihm unsere eigene Meinung unterzuschieben.« Da nun in dem göttlichen Gesetze, welches uns verbietet, zu begehren, was des Nächsten ist, einige weibliche Benennung angeführt, die Schwester aber ausgelassen ist, so schloß er, sei es erlaubt. Und was Herrn Quadrat anbetrifft, der von Person das war, was man einen artigen Menschen, oder einen Witwen- und Weibermann nennt, so paßte der seine Wahl sehr leicht unter vorher bestimmte Harmonie der Dinge.
    Da nun diese Herren alle beide mit großem Fleiß jede Gelegenheit wahrnahmen, sich bei der Witwe beliebt zu machen, so meinten sie, eins von den sichersten Mitteln wäre, wenn sie ihrem Sohne beständig vor dem andern Knaben den Vorzug gäben; und wie sie ferner meinten, die Güte und Wohlgewogenheit, welche Herr Alwerth dem letzten bezeigte, müsse ihr sehr mißfällig sein, so zweifelten sie nicht, es könne ihr nicht anders, als sehr gefallen, wenn sie jeden Anlaß ergriffen, ihn herunterzusetzen und zu demütigen; denn, da sie den Knaben haßte, müßte ihr jedermann lieb sein, der ihm eins versetzte. In diesem nun hatte Schwöger den Vorteil; denn derweile Quadrat den guten Leumund des armen Kindes kaum schrammen konnte, konnte jener ihm das Fell über die Ohren ziehen; und in der That betrachtete er jeden Hieb, den er ihm versetzte, als ein Kompliment, das er seiner Geliebten brächte, so daß er mit der größesten Schicklichkeit jene alte Litanei der Schulrute dabei absingen können:
»Castigo te non quod odio ha
beam, sed [109] quod amem«:
»Ich strafe dich nicht aus Haß, sondern weil ich liebe.« Und diesen Spruch führte er wirklich oft im Munde, oder besser, nach der alten Redensart, brachte ihn niemals besser an, als wenn er ihm damit durch Mark und Bein drang.
    Aus dieser Ursache hauptsächlich waren die beiden Herrn, wie wir eben gesehen haben,

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