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Tom Sawyers Abenteuer und Streiche

Titel: Tom Sawyers Abenteuer und Streiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Twain
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war Joe Harper. Die ganze Woche hindurch waren die beiden Jungen geschworene Freunde, der Sonnabend nur sah sie regelmäßig als Gegner auf dem Schlachtfelde. Joe zog sofort eine Stecknadel aus seinem Jackenfutter und begann sich mit Lust und Liebe am Einexerzieren der gefangenen Wanze zu beteiligen. Von Minute zu Minute nahm die Sache an Interesse zu. Bald meinte Tom, daß sie sich gegenseitig nur hinderten und somit keiner den vollen Genuß an der Wanze haben könne. So nahm er denn Joes Tafel vor sich hin auf den Tisch und zog von oben bis unten eine Linie genau durch die Mitte derselben.
    »Jetzt,« sagte er, »paß auf! Solang die Wanze auf deiner Seite ist, darfst du sie treiben mit der Nadel und ich laß sie in Ruhe. Brennt sie dir aber durch und kommt zu mir herüber, dann siehst du zu, so lang, bis sie mir wieder durchgeht. Hast du verstanden?«
    »Schon gut, nur vorwärts,« trieb der ungeduldige Joe, – »kitzle sie 'mal ein bißchen!«
    Die Wanze entwischte Tom schleunigst und passierte die Linie, nun war die Reihe des »Kitzelns« an Joe, gleich danach hatte sie wiederum den Äquator gekreuzt. Dieser Wechsel wiederholte sich des öfteren. Während nun der eine Junge die unglückselige Baumwanze mit der Nadel anspornte, in nimmer erlahmendem Eifer, schaute der andere in atemloser Spannung zu, die beiden Köpfe waren tief über die Tafel gebeugt, die beiden Seelen schienen der ganzen übrigen Welt wie abgestorben. Endlich wollte sich das launenhafte Glück für Joe entscheiden, an seine Fersen heften. Die Wanze versuchte auf allen möglichen Wegen zu entwischen und wurde bei der Jagd so lebhaft und erregt, wie die Jungen selber. Aber wieder und wieder, gerade als sie den Sieg schon sozusagen in Händen hielt und Toms Finger juckten und zappelten vor Begier, in die Aktion eingreifen zu können, gerade im entscheidenden Moment lenkte Joes Nadel geschickt den Flüchtling nach seiner Seite zurück und wahrte sich den Besitz dieses köstlichen Gutes. Endlich konnte es Tom nicht länger aushalten, die Versuchung war zu groß. So streckte er denn die Hand aus und begann mit seiner Nadel nachzuhelfen. Da aber wurde Joe zornig und rief drohend:
    »Tom, laß das bleiben!«
    »Ich will dir ja nur ein klein bißchen helfen, Joe.«
    »Ach was, helfen! Brauch dich nicht, laß bleiben, sag ich.«
    »Kuckuck noch einmal. Ich werd' doch auch ein bißchen helfen, dürfen!«
    »Laß bleiben, sag ich dir!«
    »Ich will aber nicht.«
    »Du mußt – die Wanze ist auf meiner Seite.«
    »Hör mal zu, Joe Harper. Wem gehört die Wanze denn eigentlich, dir oder mir?«
    »Das ist mir ganz einerlei. Eben ist sie auf meiner Seite der Linie und du sollst sie nicht anrühren, oder –«
    »Na, wettst du, daß ich's tu'? Die Wanze ist mein und ich kann mit ihr machen, was ich will – hol' mich der und jener! Her damit, sag ich!«
    Ein saftiger Hieb sauste hernieder auf Toms Schultern, ein Zwillingsbruder desselben traf Joes Rücken; zwei Minuten lang waren die Jungen in eine Staubwolke gehüllt, die aus ihren Jacken aufwirbelte, zum ungeheuren Gaudium der ganzen Schule. Die beiden Sünder waren zu versunken gewesen in ihre Beschäftigung, um das verhängnisvolle Schweigen zu bemerken, das eingetreten war, als der Lehrer auf den Fußspitzen nach ihnen hinschlich und dann hinter ihnen stehen blieb. Er hatte eine hübsche Weile der seltenen Beschäftigung zugeschaut, ehe er sich erlaubte, seinen Teil zur Mehrung des Vergnügens beizutragen.
    Als die Schule dann um Mittag aus war, flog Tom auf Becky Thatcher zu und wisperte ihr ins Ohr:
    »Setz deinen Hut auf und tu', als ob du heim wolltest. Wenn du an der Ecke bist, laß die andern laufen und komm durchs Heckengäßchen zurück. Ich mach's grad' auch so.«
    So ging also jedes der beiden mit einem andern Haufen Kinder ab, am Ende des Heckenpfades trafen sie einander, und als sie dann zusammen die Schule erreichten, hatten sie dieselbe ganz für sich allein. Sie setzten sich nebeneinander, nahmen eine Tafel vor und Tom führte Beckys mit dem Griffel bewaffnete Hand sorgsam mit der seinen und schuf ein neues erstaunliches Wunder von Haus. Als das Interesse an der Kunst etwas zu erlahmen begann, machten sich die zwei ans Plaudern. Tom schwamm in einem Meer von Wonne. Jetzt fragte er:
    »Magst du Ratten?«
    »Puh nein, ich kann sie nicht ausstehen.«
    »Ich auch nicht – lebendige wenigstens. Aber tote, mein' ich, die man an eine Schnur bindet und um seinen Kopf schwingt.«
    »Nee, ich

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