Tom Sawyers Abenteuer und Streiche
kühleres Plätzchen finden können, aber sie mochten sich das romantische Gefühl nicht versagen, am leise flackernden Lagerfeuer zu rösten.
»Ist das nun nicht lustig?« fragte Joe.
»Famos,« bestätigte Tom.
»Was würden die Jungen sagen, wenn sie uns so sehen könnten!«
»Sagen? Ei, die ließen sich totschlagen, wenn sie nur hier sein könnten, – he, Huckchen?«
»Das will ich meinen!« brummte Huckleberry, »mir wenigstens gefällt's und ich wünsch mir nichts anderes. Für gewöhnlich krieg ich nicht satt – hier kann mich auch keiner herumstoßen und seine Stiefel an mir abputzen, danke!«
»Das ist just ein Leben für mich,« jubelte Tom, »morgens braucht man nicht aufzustehen, braucht nicht in die Schule, sich nicht zu waschen und all den anderen dummen Firlefanz. Siehst du nun, Joe, ein Pirat hat gar nichts zu tun, so lang er am Lande ist, ein Eremit aber, der muß beten, beten, beten bis er schwarz wird, und hat nie ein Vergnügen, immer so allein für sich.«
»Das ist auch wahr,« meinte Joe, »ich hab eben nicht weiter darüber nachgedacht. Jetzt will ich selber viel lieber Seeräuber sein, seit ich's probiert hab.«
»Außerdem,« belehrte Tom, »gibt man heutzutage nicht mehr so viel auf Eremiten, wie früher, in alten Zeiten, während ein Pirat überall geachtet ist. Ein Eremit muß auch immer auf dem allerthärtesten Platz schlafen, den er finden kann, muß Asche auf sein Haupt streuen und –«
»Asche? Zu was denn die Asche auf den Kopf?« fragte Huck.
»Das weiß ich selber nicht. Aber das müssen sie – alle Eremiten tun's. Du hättst's auch zu tun, wenn du einer warst.«
»Die sollten mir kommen,« versetzte Huck.
»Na, was tätst du denn?«
»Das weiß ich noch nicht. Aber Asche auf den Kopf sicher nicht.«
»Aber Huck, das müßtest du einfach. Wie wolltest du da drum herumkommen?«
»Ei, ich würd's eben nicht leiden. Ich risse aus!«
»Ausreißen! Na, du wärst ein nettes altes Gestell von einem Eremiten, weiß Gott, ein wahrer Schandfleck für die anderen!«
Der »Bluthändige« gab keine Antwort, da er Besseres zu tun hatte. Er war soeben damit fertig geworden, einen Maiskolben auszuhöhlen; nun befestigte er einen Binsenhalm daran, stopfte den Kolben mit Tabak, legte eine glühende Kohle darauf und hüllte sich in eine Wolke lieblich duftenden Dampfes. Man sah ihm ordentlich an, wie er sich im höchsten Stadium wollüstigen Behagens befand. Die anderen Piraten neideten ihm den Besitz solch imponierend lasterhafter Kunst und beschlossen heimlich, dieselbe in kürzester Frist sich anzueignen. Nach einer Weile fragte Huck:
»Was haben denn Seeräuber eigentlich zu tun?«
Worauf Tom erwiderte:
»O, die haben Zeitvertreib genug. Die kapern Schiffe und verbrennen sie, nehmen alles Geld weg und vergraben's an ganz schrecklich gruseligen Plätzen auf ihrer Insel, wo's Geister und solche Wesen gibt, die den Schatz bewachen. Dann töten sie jedermann auf den Schiffen – lassen alle über die Planken springen –«
»Und die Frauen schleppen sie ans Land,« vervollständigte Joe, »die töten sie nicht.«
»Nein,« stimmte Tom bei, »Frauen töten sie nicht, dazu sind sie zu edel. Die Frauen sind auch immer sehr schön.«
»Und was für Kleider sie tragen! 's ist 'ne wahre Pracht; alles voll Gold und Silber und Diamanten,« fiel Joe ganz begeistert ein. »Wer?« fragte Huck.
»Nun die Piraten doch!«
Huck sah nachdenklich an seiner Gewandung hinunter.
»Na, meine Kleider sind dann schwerlich für einen Piraten geschaffen,« bemerkte er mit einer gewissen erhabenen Trauer in der Stimme, »ich habe aber keine anderen nicht!«
Seine beiden Kameraden trösteten ihn, die schönen Kleider würden schnell genug kommen, wenn man nur erst auf Abenteuer auszöge. Sie gaben ihm zu verstehen, daß seine ärmlichen Lumpen für den Anfang genügen sollten, obgleich gutgestellte Seeräuber für gewöhnlich in passender Garderobe auszögen.
Allmählich erstarb das Geplauder, Müdigkeit begann die Lider der kleinen Strolche schwer zu machen. Die Pfeife entglitt den Fingern des »Bluthändigen« und er schlief den tiefen Schlaf des Gerechten und – Müden. Der »Schrecken der See«, ebenso auch der »Schwarze Rächer der spanischen Meere« hatten größere Schwierigkeit im Erlangen des Schlafes. Sie sagten ihre Gebete nur innerlich her, da keine Autorität zugegen war, die sie zum Knien und lauten Aufsagen angehalten hätte. Zuerst hatten sie vorgehabt, gar nicht zu beten, vor
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